Anwalt lehnt die Überstellung des in Belgien inhaftierten Terrorverdächtigen ab. Abdeslam spricht über Blutbad in Paris.
Paris/Brüssel. Frankreich möchte den in Brüssel festgenommenen mutmaßlichen Attentäter von Paris, Salah Abdeslam, so schnell wie möglich in Paris befragen. Deshalb hat die Regierung einen europäischen Haftbefehl erlassen. Auf diesem Weg soll Abdeslam, der französischer Staatsangehöriger ist, so schnell wie möglich aus dem Hochsicherheitstrakt einer Haftanstalt in Brügge nach Paris kommen.
Dort warten sechs Untersuchungsrichter auf ihn, die mit der Aufklärung der Attentate vom 13. November beauftragt sind. Abdeslam ist der einzige überlebende Täter des Blutbads. Auch diese verkürzte Prozedur ohne eigentliches Auslieferungsbegehren dürfte aber zwei Monate oder mehr dauern, denn laut seinem Anwalt, Sven Mary, lehnt es Abdeslam ab, nach Frankreich überstellt zu werden.
Mysteriöser dritter Mann
Nach einer viermonatigen Flucht war der Mann am Freitag zusammen mit einem mutmaßlichen Komplizen im Brüsseler Viertel Molenbeek leicht verletzt festgenommen worden. Die mit den französischen Ermittlern zusammenarbeitende belgische Polizei verdankte diese Festnahme einem Tipp aus dem Bekanntenkreis des Flüchtigen. Noch am Dienstag zuvor war es ihm ein letztes Mal gelungen, während einer Schießerei aus einem Versteck zu fliehen. Dabei war der Algerier Mohamed Belkaid erschossen worden. Dieser soll laut Erkenntnissen der Ermittler aus Brüssel per Telefon die Pariser Attentate koordiniert haben.
Mysteriös bleibt vorerst die Identität des Dritten, der in Begleitung von Abdeslam festgenommen wurde. Er trug falsche belgische Papiere auf den Namen Amine Choukri bei sich. Aufgrund seiner Fingerabdrücke weiß man, dass er mit Flüchtlingen aus der Türkei im September in Griechenland gestrandet ist, dort registriert und später in Ulm kontrolliert wurde.
Unklar ist weiterhin, was die exakten Aufgaben und Aufträge von Abdeslam bei den Pariser Anschlägen waren. Laut dem Pariser Staatsanwalt François Molins hat er bei der Vorbereitung und Durchführung der Attentate „eine zentrale Rolle“ gespielt. Er hat auf seinen Namen die Autos gemietet, Hotelunterkünfte für die Attentäter reserviert sowie chemische Bestandteile für die Sprengstoffherstellung besorgt. Er leugnet nicht, am Abend des 13. November in Paris gewesen zu sein.
In einer ersten Befragung hat Abdeslam am Samstag gestanden, dass er sich (wie drei andere) in Saint-Denis bei Paris im Stade de France in die Luft hätte sprengen sollen. In letzter Minute aber habe er es mit der Angst zu tun bekommen und sei geflohen. Aus diesen veröffentlichten Aussagen kann man schließen, dass Abdeslam bereit ist zu reden. Dessen Anwalt will die französische Staatsanwaltschaft verklagen, die die Aussagen öffentlich gemacht hat.
Auch die Überlebenden und die Familien der 130 Todesopfer der Attentate erhoffen sich von seinen Aussagen Aufschluss über die Hintergründe und Auftraggeber der terroristischen Verbrechen. Für sie war es daher von größter Bedeutung, dass er im Unterschied zu anderen Beteiligten lebend gefasst wurde. Wichtig ist ihnen auch, dass ihm in Frankreich der Prozess gemacht wird.
Kritik an Belgien
Auch kritische Töne wurden in Frankreich laut: Es sei grotesk, dass die Flucht von Abdeslam, der sich stets in der Region Brüssel befand, „wegen der Naivität der belgischen Polizei so lang dauerte“, sagte etwa Alain Marsaud, konservativer Abgeordneter und ehemaliger Pariser Antiterror-Untersuchungsrichter. Und er betonte mit Hinweis auf die Radikalisierung der Jugend im Arbeiterviertel Molenbeek: „Die 130 Toten von Paris verdanken wir den Belgiern wegen der Gruppe von Molenbeek.“ Der belgische Außenminister, Didier Reynders, reagierte empört. Er entgegnete, es sei „erbärmlich, den Sündenbock bei den anderen zu suchen“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2016)