Belgiens 40-jähriger Regierungschef, Charles Michel, ist in der Terrorkrise unabkömmlich und omnipräsent. Eine China-Reise sagte der Liberale kurzerhand ab.
In den Tagen der Trauer und des Schocks ist der liberale Premier, der jüngste des Landes, so unabkömmlich wie König Philippe, der sich am Abend des „schwarzen“ Dienstags in einer TV-Rede an sein Volk wandte. Zur gleichen Zeit tauchte Regierungschef Charles Michel, demonstrativ ohne Leibwächter, am Börseplatz in Brüssel auf, der zentralen Trauerstätte im Herzen der Hauptstadt.
Der 40-Jährige fiel Jean-Claude Juncker, dem EU-Kommissionspräsidenten, um den Hals, und er kniete nieder, um auf den mit Solidaritätsadressen übersäten Platz eine Kerze anzuzünden. Anderntags erschien Michel an der Seite des Königspaars zur mittäglichen Schweigeminute auf dem Vorplatz der EU-Kommission.
Ursprünglich hätte der Premier am Mittwoch zu einer China-Reise aufbrechen sollen – unter anderem auch, um wie beim Weltwirtschaftsforum in Davos das Image Belgiens in der Terrorkrise aufzupolieren, das im Zuge der Pannen und Fehler bei der Fahndung nach den Paris-Attentätern beträchtlichen Schaden genommen hatte. Vorwürfe aus Frankreich konterte er resolut: „Wir müssen uns von niemandem Lektionen erteilen lassen.“
An einen Auslandsbesuch war indes nicht zu denken – und nicht nur deshalb, weil der Brüsseler Flughafen bis auf Weiteres geschlossen bleibt. Als „blind, gewalttätig und feige“ brandmarkte Michel nach dem Doppelschlag in Brüssel den Terrorakt einheimischer Jihadisten. Nüchtern, als fügte er sich ins Unvermeidliche, sprach er aus, was viele Belgier dachten: „Wir haben einen Terroranschlag befürchtet, und es ist passiert.“
Seit Monaten hat seine Koalition, allen voran Innenminister Jan Jambon, die Belgier in Alarmstimmung versetzt und schlimmste Befürchtungen geweckt. Als sich am Freitagabend der Zugriff eines Spezialkommandos auf das Kellerversteck Salah Abdeslams, des Cheflogistikers der Terrorzelle, im Brüsseler Stadtteil Molenbeek abzeichnete, verfolgte Michel zusammen mit François Hollande, dem französischen Präsidenten, die Kommandoaktion vom Krisenzentrum in Brüssel aus, um hernach in einer gemeinsamen Pressekonferenz eine Lagebeschreibung abzugeben.
Der Charakterkopf – kahlköpfig, mit gestutztem Vollbart – erinnert frappant an seinen Vater, Louis Michel, der sich indes als Politiker durch ein impulsives Temperament auszeichnete. Als belgischer Außenminister und Scharfmacher war der Senior federführend an der Verhängung von EU-Sanktionen gegen die schwarz-blaue Regierung in Wien beteiligt. Später agierte der Liberale als EU-Kommissar für Entwicklung, ehe er als Abgeordneter ins EU-Parlament wechselte.
Filius des Außenministers
Sein Filius, der „kleine Michel“, begründete seine politische Karriere bereits als 19-Jähriger, zunächst als Abgeordneter im wallonischen Regionalparlament, danach als Regionalminister und später als Minister unter dem liberalen Premier Guy Verhofstadt. Sets avancierte er dabei zum jüngsten Amtsinhaber.
Sein Amt als Premier hat Charles Michel indessen vor allem dem Proporz und dem fein austarierten Machtgefüge der belgischen Politik zu verdanken. Übergangslos wechselt er von Französisch ins Niederländische, und er erfüllt so ein wichtiges Kriterium. Seinen internen Rivalen, den Außenminister Didier Reynders, hat er schon im Vorfeld ausgeschaltet. In der Sozialpolitik schlug der Liberale Michel sogleich eine härtere Gangart ein, in der Terrorkrise wird der Jurist allerdings wohl noch viel mehr Härte an den Tag legen müssen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2016)