Über den Wolken sollte die Kontrolle grenzenlos sein

Heute, den 24. März, jährt sich zum ersten Mal der absichtliche Absturz der Germanwings-Maschine in Frankreich. Die Konsequenzen aus dieser Tragödie halten sich in engen Grenzen, eine eingehende öffentliche Diskussion fehlt gänzlich. Erstaunlich eigentlich!

Heute, Donnerstag, vor einem Jahr passierte das bis dahin Undenkbare – jedenfalls Unbewiesene: An diesem Tag brachte der Pilot Andreas Lubitz ein Flugzeug der Lufthansa-Firma Germanwings in den französischen Alpen mit 149 anderen Personen absichtlich zum Absturz.

Von weitreichenden Konsequenzen aus diese Tragödie war bald nichts mehr zu hören: Das Zwei-Personen-Prinzip im Cockpit, eine bessere Anlaufstelle, bei der unter strikter Wahrung der Anonymität Verdachtsfälle gemeldet werden, Medikamenten-, Drogenkontrolle bei der Erstuntersuchung (jetzt erst?) – mehr war nicht.

Die zentrale Frage auch im Fall der Tragödie vor einem Jahr, die nicht ausreichend diskutiert und schon gar nicht beantwortet wurde, ist doch jene nach der Güterabwägung: Steht die Privatsphäre der Piloten über der öffentlichen Sicherheit und jener der Kunden der Fluglinien?

Ist die ärztliche Schweigepflicht höher zu bewerten als das Abwenden einer Gefahr für Flugpassagiere? Und sind die eingesetzten Ärzte überhaupt in der Lage, bei kurzen Routineuntersuchungen mögliche Gefahren zu erkennen?

Und schließlich, welche Rolle spielt die angespannte ökonomische Situation der Fluglinien. Mit anderen Worten: Wenn Piloten von zwei Seiten her unter Druck geraten, von der wirtschaftlichen Situation der Firma und der Angst um den Arbeitsplatz auf der einen Seite,  den ständigen technischen Neuerungen und ausgedehnten Arbeitszeiten auf der anderen, erhöht das ihren Stressfaktor und die psychische Belastung.

Der menschliche Faktor ist auch bei spektakulären Unfällen in der Luftfahrt nie auszuschließen. Kaum je zuvor war er aber so eindeutig nachweisbar wie bei dem Absturz in den französischen Alpen vor einem Jahr. Das wäre die Chance gewesen, alle Aspekte zu untersuchen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.

Ganz ausschalten kann man die Gefahren, die von einem Gemüts- bzw. Gesundheitszustand eines Piloten ausgehen, nicht. Die Flugärzte sind, was die psychologische Situation betrifft, auch gar nicht gerüstet. Zwar sieht eine EU-Richtlinie jetzt vor, dass Flugärzte besser “psychologisch geschult” werden sollen. In Österreich dürfen jedoch nur Psychiater psychische Beurteilungen abgeben, nicht die Flugärzte. In Österreich gibt es aber keine Psychiater mit Luftfahrtkenntnissen-  ein Fach, in dem es auf Grund der ganz speziellen Erfordernisse sicher nicht mit einer einfachen Schulung getan ist. Daher bleiben ein paar speziell geschulten Luftfahrtpsychologen, die hier ihre Expertise einbringen können!

Vor allem wurde ganz offensichtlich die Frage beiseite geschoben, ob die Regeln der medizinischen Untersuchungen für Piloten – ob Linie, Bedarfsflug oder Privatmaschine – ausreichend und effizient genug organisiert sind, um Fälle wie diesen zu verhindern. So gibt es für Linienpiloten nach Auskunft von Experten einmal eine psychologische Begutachtung und dann nie wieder, außer es werden Verdachtsfälle gemeldet. Linien- und Bedarfsflugpiloten sind zu einem jährlichen Besuch beim Flugarzt ihres Vertrauens verpflichtet.

Wirklich zu beunruhigen scheint das die Öffentlichkeit nicht. So war es bezeichnend, dass kürzlich wie selbstverständlich angenommen wurde, Niki Lauda werde selbst im Cockpit der Maschinen seines neuen Bedarfsflugunternehmens sitzen. Trotz mehrerer Nierentransplantationen für den heute 67jährigen.  Da wurden keine Fragen gestellt. Auf die Idee, dass es Lauda, den Linienpiloten, gar nicht mehr geben kann, kam niemand – außer Niki Lauda selbst. Im Gespräch für “Reality Check” dementierte er die Medienberichte. Nein, er werde die Maschinen, die er von Ronny Pecik gekauft hat, nicht selbst pilotieren. Ja, “das werden andere machen.” Und ja seine eigene Maschine fliegt er weiter selbst. Lauda hatte seine erste Transplantation 1997, noch zu Zeiten der Lauda Air.

Eine der zentralen Fragen an diesem Jahrestag von Le Vernet ist also: Wie kommen die Piloten bei gesundheitlichen Problemen zur Erneuerung ihrer Lizenz?

Andreas  Lubitz war 2008 in psychiatrischer Behandlung, wovon die Lufthansa Kenntnis hatte. Er hat seine  Pilotenausbildung unterbrochen, bevor er sie 2009 fortsetzen konnte und 2014 zum Copiloten aufstieg. Andreas Lubitz, so der Bericht zum Jahrestag der Tragödie, hat auch davor 41 Ärzte aufgesucht. Das kann völlig rechtens dem Arbeitgeber verborgen bleiben: Lubitz musste als Privatpatient bei diesen Ärzten weder die Lufthansa als Dienstgeber, noch seinen wahren Beruf angeben.

Genauso wie eine physische Beeinträchtigung eine “Episode” bleiben kann, wird es auch bei Depression gehandhabt. Wenn diese medikamentös behandelt worden und abgeklungen ist, steht der weiteren Berufsausübung nichts im Weg. Die Frage ist nur, wie eingehend und gewissenhaft die “Freigaben” gehandhabt werden. 

Eigentlich hätte der Absturz der Germanwings vor einem Jahr auch zu einer eingehenden Diskussion über die Organisation der medizinischen Kontrolle der Piloten führen müssen – auch in Österreich und nicht nur weil hier besonders viel und besonders oft von Freunderlwirtschaft die Rede war. Ehemaliger Leiter der Austro Control: Wolfgang Köstler.

Jedenfalls müssen Piloten, die um eine Lizenz ansuchen, die erste Untersuchung in einem Flugmedizinischen Zentrum absolvieren. Davon gibt es in Österreich zwei, eines in einer Privatklinik in Wien, dass andere bei der AUA selbst. Die Lizenz stellt dann die Austro Control aus. Nach Auskunft von Kennern der Situation ist die neue Führung sehr um Seriosität bemüht.

In der Folge gehen die Piloten dann zu einem Arzt ihres Vertrauens unter den ungefähr 90 Flugärzten in Österreich. Dort ist ein Formular auszufüllen, bei dem alle Behandlungen und Medikamente angegeben werden müssen. Wenn dies nicht geschieht, wurde es auch nicht  zwingend überprüft,  lautet die Auskunft. AUA-Piloten bleiben im luftfahrtmedizinischem Zentrum

Bei offenen Fragen leitet der Flugarzt den Piloten an einen Spezialisten weiter. Flugärzte, die häufiger als andere bei psychischen Faktoren Bedenken hegen, werden offenbar gemieden. Das heißt, um seinen Patientenstock zu halten, dürfte der psychische Zustand des Lizenzwerbers für den Arzt eher nebensächlich sein. Bei 15.000 Lizenzverlängerungen gab es 15 psychologische Untersuchungen, so die Auskunft von Kennern der Situation. 

Linienpiloten und Piloten von Bedarfsflugunternehmen müssen einmal im Jahr zu einer Untersuchung.

Die Antwort auf die Frage, warum es nach den nun bewiesenen psychischen Problemen des Germanwing-Piloten keine eingehendere Auseinandersetzung mit dem menschlichen Faktor  in der Flugsicherheit gegeben hat, scheint einfach: weder die Fluglinien scheinen aus Kostengründen ein Interesse daran zu haben, noch die mächtige Pilotenvereinigung.

PS. In diesem Zusammenhang war vor einem Jahr der besonders tragische Fall einer Salzburger Flugschülerin an Reality Check herangetragen worden. C.G. (Name bekannt) buchte eine Pilotenausbildung bei einer privaten Flugschule (Name bekannt) und bezahlte damals  65.000 €.

Und dies ist die Geschichte, wie von den Eltern erzählt: Vor Beginn des Kurses lehnt ein Augenarzt die Freigabe für den Pilotenschein ab. Auch in Deutschland war sie auf Grund ihrer Größe abgelehnt worden. Die Führung der Salzburger Flugschule rät zu einem Besuch bei Dr. Wolfgang Köstler, dem damaligen Leiter der Austro Control. Dieser gewährt eine Ausnahmegenehmigung.  Es wird keine Überprüfung vorgenommen, ob sie psychisch überhaupt geeignet ist. 

Im Verlauf des Kurses stellt sich heraus, dass die Anwärterin weder von ihrer beruflichen noch von ihrer psychischen Situation her, den Pilotenschein erwerben können wird. Zwei Monate nach Abschluss will sie aus dem Vertrag austeigen. Weder Rücktritt noch Teilrefundierung lässt die Firma zu.

Die Anwärterin kommt in eine Situation, in der sie psychiatrische Hilfe sucht. Sie begeht schließlich Selbstmord. In der Folge endet ein Gerichtsverfahren positiv für die Flugschule. Und wieder spielen Begutachter die entscheidende Rolle.

Die Flugschule hätte die Ausbildungsgebühr eingestrichen, “alles, was danach kam, war ihr gleichgültig”, meint heute der Vater von C.G.

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