Irakische Truppen haben mit der Rückeroberung von Mossul begonnen, während syrische Streitkräfte nach Palmyra vordringen. Kampflos wird der IS die wichtigen Orte nicht aufgeben.
Wien/Mossul/Palmyra. Es war wahrlich keine Glanzstunde für die irakische Armee, als die Extremisten des Islamischen Staates (IS) im Juni 2014 Mossul einnahmen. Innerhalb von nur vier Tagen marschierten die IS-Schergen in die Millionenmetropole ein, während irakische Soldaten panisch das Weite suchten – freilich ohne ihr Waffenarsenal. Der IS musste nur noch zulangen. Die Häme, mit der die irakische Armee überschüttet wurde, wirkt bis heute nach. Nun, fast zwei Jahre später, schickt sich der Irak an, die strategisch wichtige Stadt wieder zurückzuerobern.
Donnerstagmorgen nahm die Armee offiziellen Berichten zufolge mehrere Dörfer vor Mossul ein. Mit der „Operation Eroberung“ getauften Offensive will der irakische Regierungschef, Haider al-Abadi, endlich sein hehres Ziel angehen: den Irak noch in diesem Jahr vom IS zu befreien.
Nahezu zeitgleich haben syrische Streitkräfte mit der Rückeroberung von Palmyra begonnen, jener antiken Oasenstadt im Zentrum des bürgerkriegsgeplagten Landes, in der seit Mai vergangenen Jahres der IS wütet. Zumindest den südwestlichen Zugang zu Palmyra hätten die regierungstreuen Soldaten bereits gesichert, hieß es am Donnerstag. Was auf den ersten Blick wie ein koordinierter Überraschungsangriff auf zwei wichtige IS-Stützpunkte aussieht, wurde unabhängig voneinander von langer Hand geplant. Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass Syrien und Irak die Operationen abgesprochen hätten. Al-Abadi hat die Rückeroberung Mossuls bereits im Februar angekündigt, in Syrien wollen die Soldaten des Machthabers, Bashar al-Assad, seit zwei Wochen nach Palmyra vordringen. Rückendeckung erhalten die syrischen Truppen von russischen Kampffliegern.
Unterdessen unterstützt die von den USA geführte Anti-IS-Koalition die irakische Offensive von der Luft aus. Auf dem Boden haben sich sunnitische Milizen den Einheiten der schiitisch geführten Regierung angeschlossen, auch kurdische Peshmerga sind eingebunden. Die USA sind aber auch am Boden in den Kampf involviert. Das ist vergangenes Wochenende eher zufällig an die Öffentlichkeit gelangt, als ein US-Soldat bei einem Raketenangriff des IS nahe Mossul getötet wurde. Anschließend musste Washington einräumen: Seit wenigen Wochen befinden sich 200 US-Marines samt schwerer Artillerie in der Stadt Makhmur knapp 100 Kilometer südlich von Mossul. Es heißt, sie würden die lokalen Streitkräfte ausbilden und unterstützen. Der großflächige Einsatz von Bodentruppen in der Kriegsregion wird von den USA allerdings abgelehnt.
Hohe symbolische Bedeutung
Die Rückeroberung von Mossul und Palmyra würde den IS empfindlich treffen, zumal die Islamisten in den vergangenen Monaten vor allem im Irak Gebietsverluste hinnehmen mussten. Erst im Dezember haben Soldaten die Jihadisten aus der zentralirakischen Stadt Ramadi vertrieben. Mossul ist mit rund zwei Millionen Einwohnern die größte Stadt, die die IS-Extremisten kontrollieren, sie gilt neben Raqqa in Syrien als inoffizielle Hauptstadt des Islamischen Staates. Hier konnte der IS seine Terrorherrschaft sehr festigen. Trainingscamps wurden errichtet, religiöse Minderheiten massakriert. Die symbolische Bedeutung der Stadt ist ebenfalls nicht außer Acht zu lassen. In Mossul zeigte sich der Terrorpate Abu Bakr al-Baghdadi im Juli 2014 erstmals in der Öffentlichkeit und ließ sich zum „Kalifen“ ernennen.
Auch in Palmyra hat der IS wüste Spuren hinterlassen. Die Jihadisten sprengten zum Entsetzen der Weltöffentlichkeit ganze antike Stätten in die Luft und plünderten jahrtausendealte Schätze. Damit lässt sich gutes Geld verdienen. Die Gegend rund um das Unesco-Weltkulturerbe hat der IS in der Zwischenzeit vermint, das hat sich für die syrischen Truppen schon am Donnerstag als fatal erweisen. Nach einer schnellen Eroberung sieht es in Mossul ebenfalls nicht aus. In Makhmur, von wo aus die „Operation Eroberung“ gestartet ist, sind offenbar nur maximal 3000 Soldaten stationiert.
Laut ernsthaften Schätzungen brauchen die Angreifer mindestens 24.000 Soldaten, um die Stadt einzunehmen und um das umliegende Gebiet zu sichern, das der IS kontrolliert. An beiden Orten ist jedenfalls mit starker Gegenwehr der Jihadisten zu rechnen. Den Peshmerga zufolge hat der IS in Mossul mehrere Haufen Autoreifen angezündet, damit sich schwarzer Rauch bildet und die Kampfflieger die Sicht verlieren.
Für Kopfzerbrechen sorgt auch der große Mossul-Staudamm, der derart porös ist, dass die Wände jederzeit brechen könnten. Das gesamte Tal entlang des Tigris wäre dann überflutet – samt Mossul. Mit dem Staudamm werden große Teile Iraks mit Strom versorgt. Derzeit kontrollieren die Kurden die Anlage. Sie konnten die Jihadisten vertreiben, die bei der Eroberung von Mossul auch Besitz vom Staudamm nahmen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2016)