40 Jahre Gefängnis für den Völkermord in Bosnien

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NETHERLANDS-SERBIA-BOSNIA-KARADZICAPA/AFP/POOL/ROBIN VAN LONKHUIJS
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Der Ex-Chef der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, wurde von Haager Richtern schuldig gesprochen.

Den Haag. Der ehemalige Präsident der bosnisch-serbischen Republika Srpska, Radovan Karadžić, ist vom Jugoslawien-Tribunal in Den Haag zu einer 40-jährigen Haftstrafe verurteilt worden. Die Richter des UN-Tribunals zur Ahndung von Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien sahen es als erwiesen an, dass Karadžić für den Völkermord in der einstigen Muslim-Enklave Srebrenica und für die Belagerung und den Beschuss von Sarajewo sowie für andere Kriegsverbrechen in Bosnien und Herzegowina verantwortlich ist.

Der heute 70-jährige Karadžić soll nach der Eroberung von Srebrenica im Juli 1995 durch die von General Ratko Mladić geleitete bosnisch-serbische Armee höchstpersönlich grünes Licht gegeben haben, um rund 8000 muslimische Männer und Burschen Mitte Juli 1995 zu ermorden. Es war der größte Massenmord auf europäischem Boden seit Ende des Zweiten Weltkrieges.

Beschuss und Belagerung

In der Urteilsbegründung sagte der vorsitzende Richter, der Südkoreaner Ogon Kwon, dass Karadžić auch für eine ganze Reihe von Kriegsverbrechen wie etwa die so genannten „ethnischen Säuberungen“ in Bosnien verantwortlich ist und er auch dafür bestraft werde. Verantwortlich sei der gelernte Psychiater Karadžić auch für die „systematische Belagerung von Sarajewo“, stellten die Richter des Haager Jugoslawien-Tribunals fest. Der ständige Beschuss von Sarajewo mit schweren Waffen und durch Scharfschützen, dem etwa 10.000 Menschen zum Opfer fielen, sei nicht nur ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern es sei ein Kriegsverbrechen gewesen, heißt es in dem Urteil des UN-Tribunals. Daher sei die hohe Gefängnisstrafe von 40 Jahren angebracht.

Karadžić selbst hat seine Verantwortung für die Verbrechen in Srebrenica und in Sarajewo immer geleugnet. Mehr noch: Er behauptete vor dem UN-Tribunal immer wieder: „Ich habe davon nichts gewusst.“ Der einstige Führer der bosnischen Serben hat sich selbst verteidigt. Er kündigte am Donnerstag umgehend an, gegen das Urteil zu berufen.

Karadžić tauchte unter

Der UN-Chefankläger, der Belgier Serge Brammertz, nannte Karadžić in seiner Anklageschrift den „Architekten des Völkermordes in Bosnien.“ Dieser Argumentation sind die Richter aufgrund der vielen Zeugenaussagen und der Indizienlage weitgehend gefolgt. Der Bosnien-Krieg dauerte von 1992 bis 1995. Bereits 1991 war es in Bosnien zu ersten Gewalttaten gekommen. Nach dem Ende des Bosnien-Krieges 1995 musste sich Karadžić zunächst aus der Politik zurückziehen. Schließlich tauchte er unter, um sich seiner Verhaftung zu entziehen. Er setzte sich nach Serbien ab, wo er seine Identität änderte. Mit einem Rauschebart, den er sich wachsen hatte lassen, trat er als der Wunderheiler Dragan Dabić auf. So konnte er lange unentdeckt bleiben.

Erst am 27. Juli 2008 wurde er enttarnt und verhaftet. Karadžić wurde sofort an das Haager UN-Tribunal überstellt, wo 2009 der Prozess gegen ihn begann. Es war ein Mega-Prozess. Er dauerte 497 Verhandlungstage, 586 Zeugen wurden aufgerufen. Er ist auf rund 800.000 Seiten Papier dokumentiert.

Milošević stirbt in seiner Zelle

Das Urteil gegen Radovan Karadžić ist das bisher wichtigste, das das Haager UN-Jugoslawien-Tribunal ausgesprochen hat. Denn gegen die anderen prominenten Angeklagten wie etwa dem einstigen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević und gegen den einstigen Kommandanten der bosnisch-serbischen Truppen Ratko Mladić konnten bisher keine Urteile gefällt werden.

Milošević starb vor zehn Jahren an Herzversagen in seiner Zelle im UN-Hochsicherheitstrakt im Gefängnis in Scheveningen bei Den Haag. Das Verfahren wurde daraufhin eingestellt. Der Prozess gegen den früheren General Ratko Mladić läuft noch. Er könnte noch ein Jahr dauern. Die Verurteilung von Radovan Karadzic legt nun aber den Schluss nahe, dass auch Ratko Mladić aller Voraussicht nach schuldig gesprochen wird. Denn Mladić war die rechte Hand Karadžićs. Mladić kommandierte die Truppen, die Sarajewo belagerten. Er befehligte persönlich die Eroberung der UN-Schutzzone Srebrenica.

Nach dem Urteil gegen Ratko Mladić wird das Haager UN-Jugoslawien-Tribunal wohl seine Arbeit einstellen, da dessen Mandat dann abläuft. ,,Das Urteil aber ist der Beweis dafür, dass auch die hochgestellten Politiker zur Rechenschaft gezogen werden“, sagt UN-Chefankläger Serge Brammertz.

„Täter zu Verantwortung ziehen“

Der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte hat die Verurteilung Karadzićs für den Völkermord in Srebrenica begrüßt. „Dieses Urteil ist eine Bekräftigung des unerbittlichen Bekenntnisses der internationalen Gemeinschaft, Täter zur Verantwortung zu ziehen“, erklärte Said Raad al-Hussein am Donnerstag in Genf.

www.Dia-Show zu Karadžić: www.diepresse.com/bosnien

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2016)

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