Irans Regime verdient keine Geduld mehr

Achselzuckende Realpolitiker werden den Iran sicher nicht davon abhalten, eine Atombombe zu zünden.

Diverse Geheimdienstschätzungen, wann der Iran eine Atombombe zünden könnte, haben sich bisher als ungefähr ebenso genau erwiesen wie Sonnenuhren während eines Mitternachtsgewitters. Wären all die Vorhersagen der vergangenen Jahre zutreffend gewesen, hätten die Iraner schon mehrere nukleare Feuerwerke veranstaltet. Auch der Prognose des Bundesnachrichtendienstes, auf den sich das deutsche Magazin „Stern“ beruft, ist nicht unbedingt die Präzision einer Atomuhr beizumessen. In einem halben Jahr könnte der Iran eine Uranbombe fertig gebastelt haben, heißt es in dem Bericht. Das kann sein, das kann aber auch nicht sein. Dass es sein kann, macht jedoch mulmig.

Als unstrittig gilt, dass iranische Techniker mittlerweile den nuklearen Brennstoffkreislauf beherrschen. Das hat der Israel-von-der-Landkarte-Wischer Mahmoud Ahmadinejad Anfang April höchstpersönlich voller Stolz verkündet. Damit war der „Point of no return“ eigentlich schon erreicht. Denn der Iran ist seither in der Lage, selbstständig Uran anzureichern. Vermutlich haben die Iraner schon genug Material für eine Bombe beisammen. Ab jetzt geht es nur noch darum, ob sie das angereicherte Uran auch waffenfähig machen, also in einen Sprengkopf pressen können. Das jedoch ist keine große Kunst mehr.

Offiziell beteuert Irans Staatsspitze, dass ihr Atomprogramm keine Bomben, sondern Strom liefern soll. Gut, Präsident Ahmadinejad hat auch nach seiner manipulierten Wiederwahl vom fairsten Urnengang der Welt gesprochen. Es dürfte Momente geben, in denen es auch die bigotte Führung der Islamischen Republik nicht ganz so genau mit der Wahrheit nimmt. Dafür ließe sich sogar eine religiöse Rechtfertigung finden: Bekanntlich gestattet es die „Taqiyah“, sich zu verstellen, wenn es einem höheren Zweck dient.

Und Verstellung spielte eine ziemlich bedeutende Rolle beim Umgang Irans mit der Internationalen Atomenergiebehörde. 18 Jahre lang hielten die Iraner die Wiener Organisation im Unklaren über das Ausmaß ihres A-Programms. Dass der Iran zwei unterirdische Atomanlagen in Natanz und Arak angelegt hatte, darauf kamen die Inspektoren erst im August 2002, weil es ihnen Irans oppositioneller Nationaler Widerstandsrat sagte. Seit sieben Jahren hält der Iran die internationale Gemeinschaft nun hin. Die EU und später auch die USA haben fast nichts unversucht gelassen, um den Mullahs die Bombe auszureden. Sie probierten es mit Verhandlungen, offerierten Wirtschaftspakete, Energiedeals und Boeing-Ersatzteile, sie schlugen die Anreicherung von Uran auf russischem Boden vor, sie versprachen dem Iran die Aufnahme in die Welthandelsorganisation, und zwischendurch erhöhten sie den Druck mit Sanktionen und UN-Resolutionen, sperrten Konten und verfügten gezielte Einreiseverbote. Zuletzt bot US-Präsident Barack Obama dem Iran auch noch direkte Verhandlungen mit der Aussicht auf ein „Grand Bargain“ samt Sicherheitsgarantien an. Doch all das hat nichts geholfen. Irans Zentrifugen drehten sich mit kurzen Unterbrechungen immer weiter.


Die Zeit läuft aus, und die Diplomaten werden immer ratloser. Auch ein Militärschlag, wie ihn Israel androht, könnte Irans Atomprogramm lediglich zurückwerfen, es aber nicht aus der Welt schaffen. Druckvolle, harte Verhandlungen bleiben die einzige Chance, auch wenn diese Option ungustiöser geworden ist, seitdem das Regime im Frühsommer erst Wahlen gefälscht und dann die empörte Bürgerbewegung brutal niedergeschlagen hat.

Es zeigt sich, dass Irans nuklearer Schutzschirm wirkt, obwohl er noch gar nicht aufgespannt ist. Denn wer Menschenrechte derart schamlos bricht wie das iranische Schlägerregime nach der Wahlfarce, den hätten demokratische Gesellschaften nicht nur mit Verachtung, sondern auch mit spürbaren politischen Sanktionen strafen müssen. Doch niemand wollte vor dem Höhepunkt der Atomkrise die Kommunikationskanäle verstopfen.

Und Menschenrechte sind ohnehin weltweit derzeit mindestens ebenso in der Krise wie die Wirtschaft. So wenig wertebewusst wie jetzt war die Außenpolitik Europas und der USA schon lange nicht. Der Gutmensch von heute ist Realpolitiker, der jede Provokation achselzuckend hinnimmt. Von Staatsführern dieses Schlags hat der Iran auch nichts zu befürchten, wenn er die Atombombe zündet. Denn dann wird es „realpolitisch“ noch gebotener erscheinen, mit dem Iran zu sprechen.

Abhalten von der Bombe kann den Iran, wenn überhaupt, letztlich nur die Aussicht auf harte Sanktionen und Isolation.

Bombe in sechs Monaten? Seite 5

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Moussavi: Blut der Demonstranten nicht umsonst vergossen

Oppositionsführer Moussavi möchte den Kampf gegen Präsident Ahmadinejad fortsetzen. Er plant die Gründung einer "politischen" Front, der mehrere reformorientierte Parteien angehören sollen.
Proteste im Iran
New Articles

Moussavi plant "politische Front" gegen Ahmadinejad

Auch nach seiner Wahlniederlage will der iranische Oppositionsführer seinen Kampf gegen Präsident Mahmoud Ahmadinejad fortsetzen.
Home

Iran: Der gespaltene Gottesstaat

Der Protest erlahmt, doch nun gärt es in den theologischen Seminaren der Pilgerstadt Qom: Ayatollah Khamenei wurde von einem Top-Theologen als „Despot“ bezeichnet.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.