Wie Syriens Armee ausbrennt

Ein Soldat der syrischen Armee auf einem Wachposten vor Palmyra.
Ein Soldat der syrischen Armee auf einem Wachposten vor Palmyra.REUTERS
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Die Gegenoffensive vor Palmyra wird mit überraschend kleinen und arg zusammengewürfelten Verbänden geführt. Die Russen waren angeblich entsetzt, als sie Syriens Armee weit schwächer als erwartet vorfanden.

Die Offensive der von der russischen Luftwaffe unterstützten syrischen Regierungsarmee, die am Donnerstag angeblich große Teile der vom IS seit Frühjahr 2015 besetzten antiken zentralsyrischen Oasenstadt Palmyra zurückerobern konnte, wird von einer verhältnismäßig kleinen, dafür umso bunter zusammengewürfelten und stark mit nichtsyrischen Einheiten gebildeten Streitmacht ausgeführt – das legen Berichte und Analysen westlicher Militärexperten und Material in offenen Informationsquellen nahe.

Demnach sei im Kern die sogenannte 3. Division der syrischen Armee zum Angriff angetreten, wobei wesentliche Teile der Mannschaften und des Materials per Flugzeug von anderen Frontabschnitten und aus dem Hinterland (etwa von Latakia) an die Palmyra-Front gebracht wurden. Der dabei angeflogene Flughafen dürfte die Luftwaffenbasis beim Städtchen Tiyas sein, etwa 60 Kilometer westlich Palmyras an einer großen Überlandstraße und etwa auf halbem Wege nach Homs. Den Berichten zufolge wurden für die Luftbrücke vor allem russische und unmarkierte iranische Transportflugzeuge benutzt.

Als Elemente der 3. Division werden angeführt:

  • Die „Liwa Dir as-Sahel“, das ist eine Brigade Marineinfanterie bzw. des Küstenschutzes, inzwischen eine reine Alawiten-Truppe;
  • die Liwa Suqour as-Sahra (Wüstenfalken-Brigade), eine Assad-treue Sunnitenmiliz;
  • eine oder zwei Brigaden der Hisbollah aus dem Libanon;
  • die „Fatimioun"-Brigade, eine im Rahmen der iranischen Revolutionsgarden ausgebildete Einheit afghanischer Söldner;
  • die Liwa Haydareyen, eine Brigade der iranischen Revolutionsgarden samt Kämpfern der fanatischen Basiji-Miliz;
  • die Liwa al-Qods al-Philistini, eine Palästinenserbrigade der Hamas;
  • die „Tiger Truppe“, eine syrische Sunnitenmiliz, deren Abteilung vor Palmyra schwer bezifferbar ist;
  • eine kaum schätzbare Anzahl Schiiten aus dem Irak;
  • ein russisches Artilleriebataillon mit einigen Batterien Feldhaubitzen, vermutlich 18 bis 24 Stück.

Nun sollte eine (Infanterie- bzw. mechanisierte) Division nach herkömmlichen russischen bzw. westlichen Maßstäben im Optimalzustand um die 13.000 bis 25.000 Mann umfassen, eine Brigade zwischen etwa 3000 und 5500. Allerdings wird der Brigadebegriff gerade im arabischen Raum sowie unter irregulären Verbänden nach unten hin sehr elastisch ausgelegt: Im libyschen Bürgerkrieg etwa sowie unter militanten Palästinensern nennen sich oft schon Gruppen von ein paar Dutzend bis wenigen Hundert Mitgliedern „Brigade".

Propagandavideos enttarnen Truppenstärke

Tatsächlich wollen Militäranalysten auch anhand von Propagandavideos bemerkt haben, dass viele der angeblichen „Brigaden" vor Palmyra in Nato-Armeen bestenfalls wie ein oder zwei Kompanien – etwa 120 bis 300 Mann – erscheinen. Eine der irregulären Brigaden etwa zeigte sich beim Marsch an die Front mit gerade einmal rund 15 Geländewagen, dazu zwei Kampfpanzer und ein halbes Dutzend Schützenpanzer Typ BMP.

Zusammengefasst lässt sich schätzen, dass die angebliche „Division", sofern man wenigstens die reguläre Marineinfanteriebrigade als lehrbuchmäßig befüllt annimmt, doch weniger als 8000 Mann zählen dürfte. Dieses Beispiel deckt sich mit Schätzungen über den Allgemeinzustand der syrischen Regierungsarmee. Bei Kriegsausbruch 2011 zählten die syrischen Streitkräfte aktiv (ohne Reservisten) etwa 300.000 Mann, davon etwa 220.000 innerhalb der Armee.

Im Frühjahr 2015 war, um bei der Armee zu bleiben, selbige auf 110.000 bis 130.000 Mann geschrumpft, und das ist noch nicht alles: „Die Russen waren ja ziemlich geschockt, als sie ankamen (Herbst 2015, Anm.) und von den ihnen von Damaskus berichteten 130.000 syrischen Soldaten vielleicht 25.000 überhaupt kampffähig bzw. ausgestattet waren“, sagt Georg Mader vom internationalen Militärfachblatt „IHS Jane’s Defence“ zur „Presse“.

Sprich: Selbst wenn die reguläre Armee noch um die 120.000 Mann zählen dürfte, ist nur ein Bruchteil davon für offensive bzw. ihm Rahmen größerer Operationen einsatzbereit.

Verluste durch "friendly fire"

Die 3. Division rückte jedenfalls seit dem 21. März von drei Seiten auf Palmyra vor und erhielt, wie erwähnt, Unterstützung durch die eigene und die russische Luftwaffe, wobei die Russen auch die hochmodernen „Alligator“-Kampfhubschrauber (Kamov Ka-52) ins Gefecht brachten. Es gab Medienberichten zufolge auch diverse „friendly fire“-Zwischenfälle: So belegten russische Geschütze irrtümlich Positionen der syrischen Marines mit Feuer. Mindestens 17 Soldaten fielen. Die Syrer sprechen allerdings von einem Verräter, der Bomben gezündet habe.

Im Libanon sollen unterdessen bereits die Leichen von mindestens 30 Hisbollah-Kämpfern von der Palmyrafront eingetroffen sein.

(wg)

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