Turbulente Tage für Tobisch: "Diese Beschimpfung - wunderbar!"

Lotte Tobisch, die sich stets gegen die Bezeichnung „Salondame“ wehrt, in ihrer Wohnung in der Wiener Innenstadt.
Lotte Tobisch, die sich stets gegen die Bezeichnung „Salondame“ wehrt, in ihrer Wohnung in der Wiener Innenstadt.Die Presse
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Am Ostermontag wird sie 90: Lotte Tobisch über Gratulanten und Kritiker, Engagement, ihr neues Buch – und ihre Zweifel am „lieben Gott“.

Die Presse: Sie werden am Montag 90. Es gab Interviews, einen Film, ein Fest, die Blumen stauen sich im Stiegenhaus . . .

Lotte Tobisch: Ich weiß es zu würdigen, und ich bin – ich möchte fast sagen: gerührt. Ich bin gar kein sentimentaler Mensch, aber ich bin gerührt über das – wie heißt es heutzutage – Feedback.

Was war das Netteste, das Sie gehört haben?

Es hat mir zum Beispiel der alte Peichl, der Ironimus, einen Blumenstrauß gezeichnet. So etwas freut mich enorm. Und auch aus der Bevölkerung kam so viel. Ich sag immer, die Menschen sind vielfach besser als ihr Ruf. Aber ich bin erstaunt: Jetzt auf meine alten Tag' plötzlich so eine Welle der Sympathie. Auch von wildfremden Leuten, schreckliche selbstgebackene Sachen. Ich hab ja da drüben, ich geb's zu, in meiner Bibliothek eine kleine Sammlung von unglaublichen Scheußlichkeiten, die ich im Lauf der Zeit bekommen hab. Aber die Leute sind wirklich lieb, es kommt ununterbrochen was. Zwei Beschimpfungen waren auch dabei. Wobei eine wirklich wunderbar ist: dass mich kein Mensch mehr sehen kann, und überhaupt, immer die gleichen scheußlichen Brillen, immer die gleiche Perücke, und Figur hätte ich auch keine, weil ich am Opernball immer nur Vorhänge umgehängt habe. Wunderbar! Ich hab so gelacht.

Das kam per Brief?

Ja. In diesem ganzen Hype hat das etwas sehr Erfrischendes. Am meisten hab ich ja über die Perücke gelacht. Weil ich seit Ewigkeiten die gleiche Frisur habe. Aber ich bin erstaunt, wie nett die Leute sind, und auch dankbar, aber ich komme mir schwer überbewertet vor. Ich zitiere immer den Meischberger: Wo woar mei Leistung?

Vielleicht liegt sie in Ihrer Art, Dinge auszusprechen.

Ich sag immer, was ich denke. Ich habe mir damit auch weidlich geschadet in meinem Leben. Das ist natürlich der Vorteil, wenn man 90 ist: Was kann mir noch passieren? Gott behüte, es kann mir irgendein Bonze nicht zum Geburtstag gratulieren. Aber ich hab es immer so gehalten, soweit es möglich war. Gut: Wenn man allein ist, ist alles leichter. Mut verlangen von Leuten, die eine Familie haben, das ist leicht gesagt. Mut muss man sich auch leisten können.

Sie bringen gerade ein neues Buch heraus . . .

Es ist ähnlich wie mein letztes, nur ausführlicher. Wieder über dies und jenes und über einzelne Leute, die ich gekannt hab. Und auch etwas aus meinen komischen Kolumnen. Das ist etwas, was mich freut: Dass man mit 90 anfängt, etwas ganz Neues zu machen. Ich kann nur jedem empfehlen, immer irgendetwas Neues zu beginnen, und sei es, mit dem Hund der kranken Nachbarin äußerln zu gehen. Nicht sitzen und warten, dass die anderen kommen. Ich mag ja die Geschichte meiner Tante Frieda, die immer gesagt hat, wie schlecht die Menschen sind, und wie schlecht es ihr geht. Zum Schluss hat meine Großmutter gesagt: „Es ist wirklich schrecklich, was dir alles passiert, Frieda. Und jetzt sag einmal, was bietest eigentlich du der Welt?“ Genau das ist es.

Diese Woche haben Sie sich sogar im berühmt-berüchtigten Marchfelderhof hochleben lassen . . .

Da ist es uns gelungen, den Bocek (Wirt Gerhard Bocek, Anm.)einzubremsen. Er hat gesagt, er schickt eine weiße Stretchlimousine . . . Ich hab gesagt, ich komme, aber nur unter der Bedingung: Ich komm mit dem Golf. Es war dann, ich muss es sagen, wirklich nett. Und zu komisch. Einen Himmel voller Geigen, den gibt's da wirklich. Aber der Bocek sammelt immer für Künstler helfen Künstlern, und ich bin ein dankbarer Mensch. Dankbarkeit soll man kultivieren. Ich denk es mir oft bei jungen Leuten, die sind so nett – aber dieses Wort ist ihnen völlig fremd.

Für Künstler helfen Künstlern engagieren Sie sich ja schon seit dem Zweiten Weltkrieg.

Ja, seit die Kollegin Wagener, die schon lang tot ist, das gegründet hat. Das war zu der Zeit, als die Tschechen die Sudetendeutschen hinausgeschmissen haben, 1946, 1947. Da haben die Industriellen in ihren Fabrikshallen bunte Abende veranstaltet. Leute wie der Heinz Conrads – sagt Ihnen wahrscheinlich nix – wurden da entdeckt. Und dafür hat Hilde Wagener immer Geld bekommen, so ist der Verein entstanden. Ende der Fünfziger, Anfang der Sechziger hat man dann gesagt: Und jetzt ein Altersheim.

Das heißt, Sie haben sich früh mit dem Thema Alter beschäftigt.

Ich bin ein Mensch, der in diesen Dingen sehr pragmatisch ist, ich bin überhaupt ein sehr pragmatischer Mensch. Was geht, geht, und was nicht geht, geht nicht. Und was geht, das wird vollends ausgeschöpft. Natürlich ist man nicht mehr 20, 30, auch nicht mehr 70.

Hat es einen Moment gegeben, wo Sie sich geschreckt haben, weil man plötzlich die eigene Vergänglichkeit vor Augen hat? Graue Haare, Falten?

Das ist mir wurscht. Aber ja: Die Menschen, die mir in meinem Leben nahegestanden sind, sind alle gestorben. Der, der mir am nächsten gestanden ist, zuerst, dann einer nach dem anderen. Das sind große Schmerzen. Aber so ist das Leben, und es geht weiter.

Glauben Sie, dass es auch nach dem Tod noch irgendwie weitergeht?

Was den lieben Gott anlangt, ist das so eine Sache. Ich pflege zu sagen, ich bin alles, nur keine Atheistin. Aber doch eine Agnostikerin. Allerdings: Ich bin mir nicht sicher, ob ich recht hab. Ich hab so meine Zweifel. Nicht an Gott, aber an dem Epitheton „der liebe Gott“. Wenn ich mir so die Welt anschaue . . . Ich spüre sehr wenig Liebe, generell, und auch vom lieben Gott nicht. Und ob es weitergeht? Ach Gott, ist das so wünschenswert? Ich weiß es nicht. Das Wesen der Welt ist Kommen und Vergehen, Aufgehen in irgendwas, und das ist eigentlich auch gut so.

Und was werden Sie am Ostersonntag und Ihrem Geburtstag am Ostermontag machen?

Das kann ich Ihnen sagen: Hier daheim sein und meine Ruhe haben.

ZUR PERSON

Lotte Tobisch wurde am 28. März 1926 geboren, war Schauspielerin und leitete 1981 bis 1996 den Opernball. Sie engagiert sich für die Alzheimer-Liga und ist Präsidentin von Künstler helfen Künstlern. Am 24. April findet dafür eine Benefizmatinee anlässlich ihres 90. Geburtstags im Ronacher statt: „. . . und Gott lachte! Der jüdische Witz und die Musik der Klezmorim“ mit Giora Feidman und Miguel Herz-Kestranek (www.wien-ticket.at). Am 19. April erscheint „Alter ist nichts für Phantasielose“ (Amalthea). Am 26. April liest sie daraus in der Buchhandlung Frick am Graben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2016)

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