Ende der Milchquote: Ein Jahr nach der Planwirtschaft

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Vor einem Jahr lief in der EU die Milchquote aus. Großbetriebe in Irland und Belgien profitieren davon. In Österreich sind viele Bauern sauer – auch auf ihre eigene Vertretung.

Wenn Bauern sauer sind, können sie mitunter ziemlich aktionistisch werden. Das wird man in Österreich am kommenden Donnerstag wieder einmal beobachten können. Da will die IG Milch auf dem Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Platz in der Wiener Leopoldstadt einen Milchsee aufschütten, um auf die Verwerfungen auf dem Markt aufmerksam zu machen. Freilich nur symbolisch aus Wasser, das weiß eingefärbt wird. „Wir wollen ja keine echte Milch verschütten“, sagt IG-Milch-Obmann Ewald Grünzweil.

Die IG Milch ist für ihre Poltereien bekannt. Aber auch andere Bauern in Österreich teilen ihren Unmut. Vor einem Jahr ist die EU-Milchquote ausgelaufen. Sie legte fest, wie viel Milch in der EU produziert werden darf. Seit es sie nicht mehr gibt, darf jeder Milchbauer so viel melken, wie er will. Der Milchpreis rasselt seither nach unten. In der Branche ist Feuer am Dach.

Dabei ist das Auslaufen der Quote nur bedingt schuld am aktuellen Preistief. Problematisch für die Milchbranche ist vor allem die Lage auf dem Weltmarkt. Zum einen ist da der russische Einfuhrstopp für Lebensmittel aus der EU. Mehrere 100.000 Tonnen Milchprodukte wurden jährlich aus der EU nach Russland verkauft. In China, wo europäische Milchprodukte einen guten Ruf genießen, schwächelt die Wirtschaft. Auch die Türkei, Tunesien und andere Länder Nordafrikas waren für die europäische Milchwirtschaft ein interessanter Absatzmarkt. Nach dem Arabischen Frühling sieht die Lage anders aus.

„Der Weltmarkt ist da, er ist halt nur vorübergehend abgeschwächt“, sagt Adolf Marksteiner von der Landwirtschaftskammer. Die aktuelle Krise sei deshalb „keine strukturelle, sondern eine konjunkturelle“. Mit dem Auslaufen der Milchquote hat man gerechnet. Damit, dass Märkte wie Russland quasi über Nacht wegbrechen, aber nicht. Dennoch gibt es Profiteure der neuen Regelung. Es sind vor allem große Betriebe in Irland, Dänemark, Belgien und Norddeutschland. Die Milchmenge stieg dort seit dem Ende der Quote um bis zu 16 Prozent. In Österreich um etwa zwei Prozent. Wobei man sich hierzulande nie an die Begrenzung gehalten hat: 450 Millionen Euro berappten die heimischen Bauern in den vergangenen 20 Jahren an Strafe, weil sie zu viel produzierten.

Falsch beraten? Eingeführt wurde die Milchquote in der EU im Jahr 1984. In Österreich sogar noch ein paar Jahre früher. Mit der Mengenbegrenzung sollte der Überproduktion ein Riegel vorgeschoben werden, die man zuvor erst durch garantierte Mindestpreise so richtig angeregt hatte. Ab 2006 wurde die Quote schrittweise erhöht und ihre Abschaffung beschlossen. Am 1. April 2015 lief sie schließlich aus.

Das Ende der Quote kam also nicht überraschend. Trotzdem fühlt sich so mancher Bauer übervorteilt. Vor allem gegenüber der eigenen Interessenvertretung macht sich Unmut breit. Die Kritik: Agrarpolitiker und Funktionäre hätten die Bauern jahrelang zum Expandieren ermuntert und die Vorzüge des Weltmarktes gepriesen. Die Losung lautete „20-20-60“: 20 Prozent mehr Milch, 20 Prozent höherer Bauernmilchpreis, 60 Prozent Exportanteil. 50 Prozent der heimischen Milchproduktion werden jetzt schon exportiert. „Viele Bauern haben mit Krediten in den Ausbau investiert. Und jetzt sieht man, die Strategie geht nicht auf“, sagt Judith Moser-Hofstadler von der österreichischen Berg- und Kleinbauernvereinigung Via Campesina.

Tatsächlich kann von 20 Prozent höheren Preisen keine Rede sein. Im Vorjahr sank der Preis, den ein Bauer für einen Liter Milch erhält, um 15 Prozent. Derzeit liegt er bei 28 Cent. Bei Biomilch ist der Preis höher. Etwa 40 Cent benötigt ein Bauer im Alpenland, um zu überleben, also kostendeckend zu sein. Wobei auch das nur die halbe Wahrheit ist. Ohne die üppigen Agrarförderungen würde es viele der 31.000 Milchbauern in Österreich überhaupt nicht mehr geben. Der Anteil der Förderungen am Einkommen der Landwirte beträgt locker 60 Prozent. Von einem freien Markt ist man in der EU-Landwirtschaft also auch nach dem Ende der Milchquote weit entfernt.

Die Landwirtschaftskammer sieht sich freilich nicht als ihre Schuld. Man habe niemanden irgendwo hineingetrieben. „Wir haben uns dabei auf eine Prognose der EU berufen, die meinte, dass der Milchmarkt wachsen wird. Damit haben sie sich aber leider geirrt“, sagt Josef Siffert, Sprecher der Landwirtschaftskammer.


Ruf nach dem Staat. Und es wäre nicht die Landwirtschaft, würde auf den niedrigen Marktpreis nicht sogleich der Ruf nach dem Staat folgen – in diesem Fall nach der EU. 500 Millionen Euro sollen als Hilfe an die Bauern in der EU ausbezahlt werden, das ist bereits beschlossen. Sieben Millionen davon gehen an Österreich. Außerdem dürfen Milcherzeuger – also Bauern und Molkereien – vorübergehend freiwillige Mengenbegrenzungen vereinbaren. Eine Art temporäre Quote also.

Das gilt aber nur für ein halbes Jahr. Die Bauern müssten sich an die Marktsituation anpassen, so die EU-Kommission. Laut Experten dürfte das auch gelingen. Das Jahr werde eine Durststrecke, aber die Bauern würden das durchtauchen, meint das Wifo. Ein großflächiges Milchbauernsterben werde es nicht geben. Bei der Protestveranstaltung am Donnerstag wird sich das bestimmt anders anhören. Aber Bauern sind eben gern aktionistisch.

In Zahlen

1984 wurde in der EU die Milchquote eingeführt, um der Überproduktion einen Riegel vorzuschieben. Die Quote legte fest, wie viel Milch in der EU produziert werden darf.

Am 1. April 2015wurde die Milchquote endgültig abgeschafft. Zuvor war sie in mehreren Schritten erhöht worden. Seit dem Quoten-Aus darf jeder Bauer so viel Milch produzieren, wie er möchte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2016)

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