Türkei: Wie Erdoğan sein Land isoliert

Presidential Palace handout photo shows Turkish President Erdogan addressing the war academy
Presidential Palace handout photo shows Turkish President Erdogan addressing the war academy(c) REUTERS (HANDOUT)
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Das Selbstbild des türkischen Präsidenten kollidiert immer mehr mit der Außensicht. Nun lehnt der US-Präsident ein Gespräch mit Erdoğan in Washington ab.

Istanbul. Westliche Diplomaten wegen einer Prozessbeobachtung abkanzeln, den deutschen Botschafter wegen einer harmlosen Satiresendung einbestellen, die amerikanische Regierung wegen der Festnahme eines regierungsnahen türkischen Geschäftsmanns rüffeln: Innerhalb weniger Tage haben der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, und seine Regierung mächtig gegen westliche Partner ihres Landes geholzt. Neue Freunde haben sie dabei nicht gewonnen, im Gegenteil. Die Türkei gerät unter ihrem dünnhäutigen Staatschef zunehmend in die Isolation.

Ein Beispiel dafür ist der Besuch in den USA – Erdoğan reiste am Dienstag nach Washington zu einem Gipfel über nukleare Sicherheit. US-Präsident Barack Obama lehnte laut Medienberichten ein eingehendes Gespräch mit Erdoğan während seines Besuchs ab; auch bei der Einweihung einer von der Türkei finanzierten Moschee und Begegnungsstätte in Maryland am kommenden Freitag wollte Obama lieber nicht dabei sein. Vor seinem Abflug in die USA konnte Erdoğan deshalb nur mitteilen, dass er Obama sicher sehen werde – denn an dem Gipfel nehmen beide Politiker teil. Doch wie lang die Begegnung dauern werde, wisse er nicht.

Sonderlich harmonisch wäre ein Meinungstausch zwischen Erdoğan und Obama derzeit ohnehin nicht. Der türkische Staatschef wirft den USA vor, mit der Unterstützung für die Kurden in Syrien einer Terrorgruppe zu helfen. Am Dienstag hat er zudem die Festnahme des türkisch-iranischen Geschäftsmanns Reza Zarrab wegen Geldwäsche kritisiert: Zarrab, der als regierungsnah gilt, war eine Schlüsselfigur in dem Korruptionsskandal, der Erdoğan vor zwei Jahren in Bedrängnis gebracht hat. Nun sagte Erdoğan, die amerikanische Justiz solle sich lieber seinen Erzfeind, den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen, vorknöpfen.

Druck auf Diplomaten

In den vergangenen Tagen hatte Erdoğan gegen amerikanische und europäische Diplomaten gewettert, die an der Eröffnung des Strafprozesses gegen die regierungskritischen Journalisten Can Dündar und Erdem Gül in Istanbul teilgenommen hatten. Die US-Regierung wies die Kritik scharf zurück. Die Prozessbeobachtung sei im Rahmen des Auftrags von Diplomaten, sagte der Sprecher des US-Außenamtes, John Kirby. „Das war nicht das erste Mal, und es wird verdammt sicher auch nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir einen solchen Prozess beobachten.“

Jetzt lege sich Erdoğan auch noch mit westliche Diplomaten an, schrieb der Politologe Fethi Açıkel auf Twitter. Die Türkei gerate jeden Tag mehr in die Isolation. Mit Russland liegt das Land ohnehin seit Monaten im Streit, mit den meisten Nachbarn ebenso. Indes wandte sich die Regierung dem deutschen Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, zu. Erdmann wurde in das Außenamt zitiert, weil ein Liedchen mit dem Titel „Erdowi, Erdowo, Erdogan“ der NDR-Sendung „Extra 3“ in der türkischen Hauptstadt nicht besonders gut ankam. Anders als die amerikanische Regierung schwieg die Bundesregierung in Berlin zunächst. Die Linke-Politikerin Sevim Dağdelen warf der Merkel-Regierung vor, aus Rücksicht auf die türkische Kooperation in der Flüchtlingsfrage vor Ankara zu kuschen.

Doch auch Kritik aus Berlin würde beim türkischen Präsidenten wohl kaum ein Umdenken bewirken. Das Grundproblem sei, dass die Sichtweise der Regierung inzwischen nichts mehr mit dem zu tun habe, was der Rest der Welt sehe, schrieb der Kolumnist Orhan Kemal Cengiz in der regierungskritischen Zeitung „Özgür Düşünce“.

Eckpunkt der Erdogan'schen Weltsicht ist die Überzeugung, dass sich die Türkei anschickt, eine wichtige Rolle auf der internationalen Bühne einzunehmen, was auf den Widerstand anderer Akteure trifft. Die angeblichen Verschwörer haben Erdoğan persönlich ins Visier genommen, sind seine Anhänger überzeugt: „Sie wissen sehr gut, dass die Widerstandskraft der Türkei erlahmen wird, wenn sie Tayyip Erdoğan schwächen können“, schrieb Yavuz Selim Kıran, ein Berater des türkischen Außenministeriums, in der regierungsnahen Zeitung „Yeni Şafak“. Selbst ein nicht einmal zwei Minuten langer Satiresong im NDR ist aus dieser Sicht ein gezielter Angriff.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2016)

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