Datenschutz und Terrorismus: Apples juristisches Eigentor

JAPAN APPLE IPHONE 5C AND 5S SALE
JAPAN APPLE IPHONE 5C AND 5S SALE(c) EPA (CHRISTOPHER JUE)
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Der Konzern wehrte sich gegen ein Gerichtsurteil, das ihn zur Hilfe beim Entsperren des iPhones eines Terroristen gezwungen hätte. Das FBI fand hilfreiche Hacker – und ist vorerst frei von richterlichen Auflagen.

Washington. Kurz nach dem Massenmord vom 2. Dezember vorigen Jahres, bei dem der gebürtige Amerikaner Syed Rizwan Farook und seine pakistanische Ehefrau, Tashfeen Malik, 14 Arbeitskollegen Farooks in der kalifornischen Stadt San Bernardino erschossen hatten und von der Polizei auf der Flucht getötet worden waren, machte ein Ermittler einen fatalen Fehler. Beim Versuch, Farooks Diensthandy zu entsperren, ein iPhone 5C mit dem Betriebssystem iOS 9, dürfte er die Höchstzahl an zehn Versuchen für den richtigen Code erreicht haben. Ab diesem Moment war es nicht mehr möglich, etwaige für die Aufklärung der Vorbereitung dieses terroristischen Verbrechens nützliche Daten zu lesen. So begann jener Kampf um die öffentliche Meinungshoheit zwischen dem wertvollsten Konzern der Welt und der Bundespolizei FBI, der am späten Ostermontag vorläufig endete.

„Die Regierung hat nun erfolgreich die Daten aus dem iPhone des Terroristen von San Bernardino herausgeholt“, teilte das Justizministerium dem für diesen Rechtsstreit zuständigen Bundesgericht am Montag mit. „Darum benötigt sie nicht länger die Unterstützung von Apple, die mit diesem richterlichen Befehl angeordnet wurde.“

Im Jänner hatte dieses Gericht in Kalifornien verfügt, dass Apple den Ermittlungsbehörden dabei helfen müsse, Zugang zu den Daten auf dem Telefon zu erhalten. Grundlage dafür war ein Gesetz aus dem Jahr 1789 namens All Writs Act. Die Rede war davon, eine Software zu programmieren, mittels derer sich die Höchstzahl von zehn Versuchen für den richtigen Zugangscode erhöhen ließe. Apple hatte gegen diesen richterlichen Befehl Berufung eingelegt. Mit der Bekanntgabe des FBI vom Montag, anderweitig Zugang zu Farooks iPhone gefunden zu haben, ist dieses Rechtsverfahren beendet.

Apples moralischer Zwiespalt in China

Das FBI hielt sich über die Methode, mittels derer sie das Telefon geknackt hatte, bedeckt. Die israelische Zeitung „Jedi'ot Achronot“ hatte vorige Woche unter Berufung auf ungenannte Quellen berichtet, es handle sich dabei um die Sicherheitsfirma Cellebrite, ein Tochterunternehmen des japanischen Technologiekonzerns Sun Corporation.

Datenschutzaktivisten versuchten, den Ausgang dieses Streits als Sieg zu deuten. Doch bei näherer Betrachtung muss man feststellen, dass sowohl Apple als auch die um ihre Privatsphäre besorgten Benutzer elektronischer Geräte keinen Grund zur Freude haben. Apple muss nun zur Kenntnis nehmen, dass seine als ausgesprochen sicher beworbenen Geräte sehr wohl zu hacken sind. Das ist für die Markenstrategie, sich im Zuge der Enthüllungen von Edward Snowden über die US-Spionagebehörde NSA als Verteidiger digitaler Privatheit zu verkaufen, schädlich. Noch im Februar hatte Konzernchef Tim Cook behauptet, dass „die US-Regierung uns um etwas gebeten hat, das wir ganz einfach nicht haben und das zu erzeugen wir als zu gefährlich betrachten“.

Darüber hinaus ist Cooks Selbstdarstellung fragwürdig. Im Zuge des juristischen Hin und Her, das auch Anhörungen im US-Kongress mit sich brachte, zitierte das Justizministerium aus Apples firmeneigenen Transparenzberichten, denen zufolge der Konzern in China, zugleich totalitäre Diktatur und weltgrößter Markt für alle Handyhersteller, allein im ersten Halbjahr 2015 mehr als 74 Prozent der Anfragen nach Daten auf mehr als 4000 Geräten Folge geleistet hat. Es gibt zudem Grund zur Annahme, dass Apple den chinesischen Zensoren und Polizeibehörden genau jene Konzessionen gemacht hat, die es daheim gegenüber dem FBI verweigert. „Zum Beispiel das Verschieben der Daten chinesischer Benutzer auf chinesische Regierungsserver und das Installieren eines eigenen Wifi-Protokolls für chinesische iPhones.“ Apple wies diese Anschuldigungen entrüstet zurück.

Vergebene Chance auf Rechtsklarheit

Im Fall des Terroristenhandys von San Bernardino hätte Apple möglicherweise gute Karten gehabt, ein Präjudiz in der Grundsatzfrage zu erstreiten, unter welchen Bedingungen ein Unternehmen den Behörden aktiv bei der Gewinnung ermittlungsrelevanter Daten helfen muss. In einem vergleichbaren Verfahren in New York, bei dem es um die gesperrten iPhones von Drogenhändlern geht, hat ein Bundesrichter neulich Apple recht gegeben. Dagegen hat das Justizministerium berufen. Es ist zu erwarten, dass dieser Rechtsstreit über die zeitgemäße Auslegung des All Writs Acts früher oder später vor dem U. S. Supreme Court landen wird.

AUF EINEN BLICK

Am 2. Dezember 2015 ermordete der Terrorist Syed Rizwan Farook in der kalifornischen Stadt San Bernardino 14 seiner Mitarbeiter. Die Ermittlungsbehörden ersuchten Apple um Hilfe beim Entsperren des iPhones von Farook. Apple wehrte sich juristisch, doch am Montag gab das Justizministerium bekannt, dass eine ungenannte Hackerfirma das Telefon entsperrt habe. Die Hilfe Apples sei nun nicht mehr nötig, ein diesbezügliches Rechtsverfahren ist somit beendet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2016)

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