„Unter Rohani ist die Situation immer schlechter geworden“

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Die Zahl der Hinrichtungen ist auf ein Rekordhoch gestiegen, Regimegegner sind unter Druck.

Paris/Genf/Wien. Für Ahmed Shaheed ist es so etwas wie ein trauriges Ritual geworden: In regelmäßigen Abständen berichtet der frühere Außenminister der Malediven und jetzige UN-Sonderberichterstatter dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen über die Lage der Menschenrechte im Iran – und jedes Mal muss er zu neuen Superlativen greifen, um der Dramatik gerecht zu werden. So auch vor knapp drei Wochen, als Shaheed wieder einen neuen Höchstwert zu vermelden hatte: Mit mindestens 966 Exekutionen sei die Zahl der Hinrichtungen im vergangenen Jahr so hoch gewesen wie seit über 25 Jahren nicht mehr, schrieb er in seinem jüngsten Bericht. Sie sei mehr als doppelt so hoch wie noch 2010 und zehn Mal höher als im Jahr 2005.

Die Schilderungen des Sonderberichterstatters stehen im starken Gegensatz zu dem Bild, das der als gemäßigt geltende Präsident Hassan Rohani seit dem erfolgreichen Atomabkommen von seinem Land zu zeichnen versucht. Shaheed, der seit 2011 über den Iran berichtet und in dieser Funktion bisher nicht in die Islamische Republik einreisen durfte, dokumentiert auch ein immer schärferes Vorgehen gegen die Rede- und Meinungsfreiheit. Hunderte iranische Journalisten, Blogger und Aktivisten säßen in Haftanstalten. Folter und lange Einzelhaft seien außerdem an der Tagesordnung. Schon vor Monaten schlussfolgerte er: In mancher Hinsicht seien die Iraner unter Rohani schlechter dran als unter seinem konservativen Vorgänger, Mahmoud Ahmadinejad.

Jugendlichen droht Todesstrafe

Shaheed steht mit seiner Kritik längst nicht allein da. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warnte vor Kurzem, Dutzenden Jugendlichen, die zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung noch keine 18 Jahre alt waren, drohe im Iran die Todesstrafe. Das UN-Kinderrechtskomitee prangerte vor wenigen Wochen die steigende Zahl an Mädchen an, die gezwungen würden, ältere Männer zu heiraten und mit ihnen sexuell zu verkehren. Das betreffe Kinder im Alter von zehn Jahren oder jünger. Schon Neunjährige könnten zudem als schuldfähig gelten und damit zum Tode verurteilt werden. Die Liste der Kritik ließe sich beliebig fortsetzen.

Nach dem Wahlsieg von Rohani 2013 war die Hoffnung im Westen groß, dass sich die Situation deutlich verbessern würde. Der erfolgreiche Abschluss des Atomabkommens und die zunehmende Entspannung in den westlich-iranischen Beziehungen haben dieser Hoffnung weiter Auftrieb gegeben. Die Wahlen für das Parlament und den Expertenrat Ende Februar endeten trotz des Ausschlusses von vielen reformorientierten Kandidaten mit einem klaren Sieg des Reformlagers. Das Ergebnis wurde als Unterstützung für Rohani gewertet – und als Aufforderung, die vorsichtige Öffnung auch gegen den Willen des konservativen Establishments zu beschleunigen. Bisher hat der Präsident aber vor allem die wirtschaftliche Öffnung vorangetrieben, wie vom obersten Führer, Ali Khamenei, gewünscht. Dagegen sitzen politische Gegner, die bei den Massenprotesten nach den Wahlen 2009 inhaftiert wurden, nach wie vor im Gefängnis – ungeachtet des Versprechens Rohanis, sie freizulassen.

„Situation unter Rohani ist schlechter“

Dass der Präsident in Europa trotzdem derart hofiert wird, stößt vor allem den Anhängern der iranischen Exilopposition auf. „Wenn ich höre, dass Rohani als moderat bezeichnet wird, kann ich nur lachen“, sagte etwa Farzad Madadzadeh der „Presse“. „Rohani ist der Präsident des Regimes und muss für das Verhalten des Regimes verantwortlich gemacht werden.“ Der 30-Jährige war im Iran Aktivist der Widerstandsbewegung Volksmudjaheddin, die in den USA und der EU mehrere Jahre auf der Terrorliste stand und zum Nationalen Widerstandsrat des Iran gehört, der sich selbst als Exilparlament sieht. Sein Ziel war es, das Regime zu stürzen, um, wie er sagt, „eine demokratische Regierung zu errichten“. Unter Rohani sei die Situation im Land immer schlechter geworden.

Madadzadeh saß nach eigenen Angaben selbst fünf Jahre im Gefängnis, von März 2009 bis Februar 2014, und floh im August vergangenen Jahres nach Europa. Nach seinen Angaben ist der Druck auf Gegner des Regimes unter dem neuen Präsidenten weiter gestiegen. Im Gefängnis sei die ohnehin geringe medizinische Betreuung gekappt worden. Viele seiner Freunde und Gefährten seien verhaftet, einige hingerichtet worden. Den sprunghaften Anstieg der Exekutionen sieht er als ein Zeichen der Schwäche: Der Unmut in der Bevölkerung steige, daher reagiere das Regime mit Repression.

Paria Kohandel, 18-jährige Tochter eines seit fast zehn Jahren inhaftierten Volksmudjaheddin-Aktivisten, spricht von einer „Glut in der Asche“: Das Potenzial für Proteste wie 2009 sei noch da. „Die Menschen warten nur auf den richtigen Moment.“ Ihr Vater, Saleh Kohandel, wurde zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Angesichts der auslaufenden Haftzeit und der steigenden Repressionen fürchte er, ebenfalls hingerichtet zu werden oder unter „mysteriösen Umständen“ im Gefängnis ums Leben zu kommen. „Er schrieb: Ich werde täglich bedroht.“ Wiens Einladung an Rohani sieht sie als „falschen Schritt“: „Das bedeutet, dass man ihn legitimiert. Er bekommt einen Freibrief für weitere Repressionen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2016)

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