Neues Asylrecht: Die Not mit dem Notstand

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Österreich beruft sich auf einen Ausnahmefall, um die Zahl der Asylanträge einzuschränken. Aber reichen die Umstände dafür aus? Klagen drohen, sind aber mit Schwierigkeiten verbunden.

Wien. Österreich ruft den Notstand aus, zumindest beim Thema Asyl. Nach Einholung eines Gutachtens der Rechtsexperten Walter Obwexer und Bernd-Christian Funk will die Regierung auf eine Notstandsklausel im EU-Recht zurückgreifen und so ein restriktives Asylrecht einführen. In Schnellverfahren soll an der Grenze geregelt werden, ob jemand aus menschenrechtlichen Gründen (weil seine Familie schon da ist) noch ins Land darf. Oder ob der Asylwerber in einem der auch als sicher eingestuften Nachbarländer Österreichs bleiben muss.

Ob ein Notstand herrscht, der diese Maßnahmen rechtfertigt, bleibt aber umstritten. Zwar gebe es keine Judikatur des EU-Gerichtshofs (EuGH) zur konkreten Bestimmung, sagt Peter Hilpold, Professor für Völkerrecht an der Uni Innsbruck. „Aber die gesamte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Artikel zeigt, dass die Bestimmung auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.“ Und auch die Judikatur zu ähnlichen Bestimmungen im Völkerrecht lege nahe, dass in Österreich nicht die Voraussetzungen für einen Notstand herrschen. „Dafür müsste es schon extreme Zustände geben“, meint Hilpold zur „Presse“.

Auch Stefan Salomon von der Uni Graz hat Bedenken. So habe die Regierung erklärt, dass die Zahl der Asylwerber 1,5 Prozent der Bevölkerung nicht übersteigen soll. „Ich frage, ob 1,5 Prozent eine Gefahr für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung darstellen“, sagt er.

EU-Richter müssten urteilen

Im Gutachten für die Regierung wird betont, dass Österreich „nach der hier vertretenen, vom EuGH jedoch bislang (noch) nicht bestätigten, Auffassung“ von der Prüfpflicht für Asylanträge abweichen kann. Und zwar dann, wenn die „unionsrechtliche Prüfpflicht aufgrund eines überhöhten Zustroms von Schutzsuchenden zu einer Gefahr für die öffentliche Ordnung und/oder die innere Sicherheit“ führt.

Im für den Notstand herangezogenen EU-Artikel (72 AEUV) heißt es nur: „Dieser Titel berührt nicht die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“. Zunächst liegt es also an Österreich, festzulegen, wann ein Notstand vorliegt.

Doch dagegen könnte Klage beim EuGH eingebracht werden. Von anderen EU-Staaten etwa, das wäre aber unüblich. Oder von der EU-Kommission. Dann müsste die Kommission aber quasi selbst die Schwächen des EU-Rechts aufzeigen, meint Hilpold. Zumal andere Mitgliedstaaten sich in der Asylfrage noch restriktiver verhalten.

Aber auch ein abgewiesener Asylwerber könnte versuchen, über die Klage bei einem österreichischen Gericht ein Urteil des EuGH zu erwirken. Doch man stoße schon in der Praxis auf Probleme, meint Asylanwalt Wilfried Embacher. Denn die neuen Bestimmungen würden ja auch darauf abzielen, dass jemand gar nicht ins Land kommt, was die Kontaktaufnahme mit einem Anwalt erschwert. „Natürlich kann er mich auch aus Mazedonien anrufen.“ Aber das werde, vor allem wenn der Asylwerber kein Deutsch kann, nicht so einfach sein.

Und wie würden die EU-Richter im Fall eines Verfahrens nun klären, ob in Österreich ein Notstand herrscht? Möglicherweise, indem Österreich mit Zahlen die Belastung offenlegen muss. Möglicherweise aber glaubt man dem Land auch einfach ohne große Prüfung, dass ein Notstand herrscht. „Ich bezweifle, dass sich der EuGH in dieser Frage mit den Mitgliedstaaten anlegen möchte, weil diese Frage den Kern der Souveränität berührt“, sagt Salomon. Es könnte sogar herauskommen, dass objektiv kein Notstand vorliegt, Österreichs Regelung aber trotzdem für rechtens erklärt wird, meint der Jurist.

Internationales Recht ändern?

Hilpold plädiert dafür, das internationale Recht zu ändern, um Rechtslücken, wie sie hier auftreten können, zu schließen und das Recht zu modernisieren. Denn auf einen Massenansturm wie jetzt sei das Asylrecht nicht vorbereitet. Und Österreich habe seine Aufgaben hier tatsächlich übererfüllt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2016)

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