Bildungsstandards: Rechtschreiben als wunder Punkt

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Ein Drittel der Zehnjährigen erreicht die Ziele in Deutsch nicht. 70 Prozent haben Probleme beim Schreiben. Kinder aus bildungsfernen Familien hinken bis zu drei Lernjahre hinterher.

Die Ergebnisse von Österreichs größtem Bildungstest sind da – und offenbaren Handlungsbedarf. Die Bildungsstandards, die diesmal die Deutschkenntnisse der Viertklässler in der Volksschule überprüft haben, zeigen, dass knapp ein Drittel der Kinder die festgelegten Standards nicht erreicht. Beim Rechtschreiben haben sogar 70 Prozent der Zehnjährigen Schwierigkeiten. Noch ein weiteres brisantes Detail: Kinder aus Akademikerhaushalten sind ihren Mitschülern aus bildungsfernen Elternhäusern ganze drei Lernjahre voraus. Und das in der vierten Klasse Volksschule.

Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) liest die Ergebnisse durchaus anders: „Sehr erfreulich ist, dass wir besser geworden sind. Das soll uns aber nicht davon abhalten, dass wir Probleme angehen.“ Die Ergebnisse waren tatsächlich schon einmal schlechter, und zwar bei der stichprobenartigen Ausgangsmessung vor fünf Jahren. Damals wurden 10.000 Schüler an 270 Volksschulen getestet. Für die vorliegenden Ergebnisse wurden im Mai 2015 aber erstmals alle Schüler, die die vierte Klasse Volksschule besuchten, überprüft – mit Ausnahme der außerordentlichen Schüler, also jener, die noch nicht gut genug Deutsch sprechen. Insgesamt waren das 75.000 Viertklässler an 3000 Volksschulen. Überprüft hat das Bildungsforschungsinstitut Bifie das Leseverständnis, die Textproduktion (inklusive Rechtschreibung), das Hörverstehen, die Sprachbetrachtung (vor allem Grammatik) und das Hören.

„Entwicklung ernsthaft gefährdet“

Insgesamt hat nicht einmal ein Drittel der Schüler (29 Prozent) die Standards in allen vier Bereichen erreicht oder übertroffen. Ein weiteres Viertel der Zehnjährigen schafft das zumindest in drei Bereichen und 14 Prozent in zwei Bereichen. Knapp ein Drittel erreicht die Standards nur teilweise oder gar nicht.

Das Schreiben liegt den Volksschülern dabei deutlich weniger als das Lesen, das schon immer als Problem galt. Nun zeigt sich, dass zwar 38 Prozent der Schüler schlechte Leser sind, aber beim Schreiben (also in allen vier Unterkategorien) gar mehr als die Hälfte der Kinder die Anforderungen gar nicht oder nur teilweise erfüllen. Die größten Schwierigkeiten bestehen bei der „sprachlichen Richtigkeit“ – dabei geht es nicht nur um die Rechtschreibung, sondern salopp formuliert darum, einen „geraden deutschen Satz zu schreiben“. 70 Prozent haben dabei Probleme (siehe Grafik). „Das ist weniger besorgniserregend, als es auf den ersten Blick scheint. Da gibt es schon Handlungsbedarf, aber es ist Substanz da“, sagt Claudia Schreiner vom Bifie. „Die Volksschüler sind ja nicht gewohnt, einen Text zu schreiben, ohne vorher zu üben“, sagt die Bildungsministerin.

Auch die Risikogruppe, also jene Schüler, die die Bildungsstandards gar nicht erreichen, ist beim Rechtschreiben mit 27 Prozent am größten. Beim Lesen sind es 13 Prozent. Diese Gruppe hat laut Bifie „Mühe bei den einfachsten Leseaufgaben, ihre persönliche und schulische Entwicklung ist dadurch ernsthaft gefährdet“.

Die Unterschiede zwischen den einzelnen Schülergruppen sind dabei groß: Kinder aus Akademikerhaushalten erreichen zwischen 100 und 120 Punkten mehr als Kinder von Eltern mit maximal Pflichtschulabschluss. Das entspricht einem Unterschied von drei Lernjahren. Etwas geringer ist die Leistungsdifferenz zwischen Kindern mit bzw. ohne Migrationshintergrund: Hier lagen die Unterschiede zwischen 39 (Rechtschreiben) und 77?Punkten (Hörverstehen). Vergleicht man Migranten- und Nichtmigranten aus der gleichen sozialen Schicht, reduzierten sich die Differenz auf 15 (Rechtschreiben) bis 51?Punkte (Hören). Beim Lesen gehören zehn Prozent der „einheimischen“ Kinder (insgesamt 6000) zur Risikogruppe, aber 27 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund (insgesamt 4000). Die regionalen Unterschiede sind diesmal gering. Auch Wien reißt nicht aus.

Das Argument, dass sich Schüler bei solchen Testungen nicht anstrengen, zählt übrigens nicht: Nur elf Prozent geben an, dass sie sich (viel) weniger als bei einer Schularbeit angestrengt haben. 30 Prozent haben sich hingegen sogar (viel) mehr Mühe gegeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2016)

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