Warum die „Außenministerin“ Europas Grund zum Heulen hat

Die seltsamen Ansichten der Federica Mogherini über den Platz des politischen Islam in der Europäischen Union enthüllen einen bemerkenswerten Zynismus.

Es gibt so Momente, in denen man auch als jemand, der die EU für eine grundsätzlich vernünftige Sache hält, die Briten und ihre Neigung, diesen Laden wieder zu verlassen, ganz gut verstehen kann. Zum Beispiel, wenn diese EU nun allen Ernstes wieder ernsthaft mit der Türkei über ihren Beitritt zur Union verhandelt; einer Türkei, die sich flott in ein muslimisch-autoritäres Land transformiert, eine Art Minarett-Russland.

Zum Beispiel, wenn in dieser EU ernsthaft darüber diskutiert wird, mithilfe massiver gewerbsmäßiger Geldfälschung durch die Europäische Zentralbank (Stichwort Helikoptergeld) die dank politischer Fehlentscheidungen (Schuldenpolitik) schwächelnde europäische Wirtschaft in Schwung bringen zu wollen, ohne dass Vertreter dieser These auf der Stelle besachwaltert werden.

Oder wenn, wie jüngst geschehen, die Außenbeauftragte der Union, Federica Mogherini, während einer Pressekonferenz im jordanischen Amman zu heulen beginnt, nachdem sie zum jüngsten islamistischen Terroranschlag in der EU-Hauptstadt befragt wird. Dabei ist nicht so sehr der emotionale Ausbruch der Italienerin das Befremdliche, sondern der – höflich formuliert – bemerkenswerte Zynismus, der da für einen Augenblick sichtbar wird. Denn es ist gerade ein Jahr her, dass Frau Mogherini öffentlich erklärt hat: „Gerade in Brüssel kennen wir (religiöse und ethnische, Anm.) Diversität und Komplexität aus eigener Erfahrung. Ich schrecke deshalb auch nicht vor der Behauptung zurück, dass der politische Islam Teil dieses Bildes sein sollte.“

Nicht etwa „der Islam“, sondern der „politische Islam“. Also genau jene Ideologie, die korrekterweise gemeinhin als „Islamismus“ bezeichnet wird, als Teil des bunten, vielfältigen Europa – auf die Idee muss man erst einmal kommen. Und noch mehr auf die Idee, dann coram publico zu heulen, wenn Islamisten, „Teil dieses Bildes“, ein Massaker anrichten.

Leider kann Mogherini auch nicht straferleichternd auf intellektuelle Minderausstattung plädieren. Sie hat immerhin ihr Studium mit einer Arbeit über „Das Verhältnis zwischen Politik und Religion im Islam“ abgeschlossen. Derartig jenseitige Positionen in einer derart vitalen Frage werden es vernunftbegabten Briten nicht gerade erschweren, für den Brexit zu stimmen.

In dieses Bild passt, dass die von Frau Mogherini vertretene Außenpolitik der EU, wenn es um islamistischen Terror gegen Israel geht, gelegentlich erhebliche Schwierigkeiten hat, zwischen Tätern und Opfern zu unterscheiden. Als etwa vor ein paar Monaten erst in Tel Aviv zwei Juden beim Gebet erstochen und danach im Westjordanland ein Israeli, ein Palästinenser und ein US-Tourist aus einem fahrenden Auto heraus erschossen wurden, erklärte der Europäische Auswärtige Dienst: „Die Anschläge erinnern auf furchtbare und schmerzhafte Weise daran, wie unbeständig und gewalttätig die Realität ist.“ Es seien „zu viele unschuldige Menschen während der gegenwärtigen Welle der Gewalt gestorben. Die heutigen Attacken zeigen nur noch einmal die Notwendigkeit für alle Seiten auf, weitere Gewalt mit aller Kraft zu verhindern und alle nötigen Schritte zu unternehmen, um der Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts wieder eine politische Perspektive zu geben.“

Nur, wenn Täter zwei Betende und drei Zufallsopfer ermorden, dann wäre es vielleicht doch einmal angezeigt, die Täter Täter zu nennen und die Opfer Opfer, anstatt sich auf die zweifellos ebenso richtige wie banale Erkenntnis zu beschränken, dass die Realität gelegentlich gewalttätig ist. Nach den jüngsten Brüsseler Anschlägen ist ja auch niemand auf die Idee gekommen, daraus den Schluss zu ziehen, dass endlich der Konflikt zwischen dem Königreich Belgien und dem Islamismus gelöst werden müsse, damit künftig nicht weitere unschuldige Menschen ihr Leben verlieren.

Aber vielleicht soll man Frau Mogherini und ihren Europäischen Auswärtigen Dienst nicht auch noch auf dumme Ideen bringen.

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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2016)


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