Einspruch, Euer Ehren!

Zu Michael Scharangs Attacke im „Spectrum“ gegen den Österreichischen Buchpreis.

Vor zwei Wochen wurde auf der Leipziger Buchmesse in Gegenwart und unter Zustimmung zahlreicher Verleger und Autoren der deutschsprachigen Welt verkündet, dass nach Deutschland und der Schweiz jetzt auch Österreich einen Buchpreis gestiftet hat, der vom Staat finanziertwerden wird. Das hat Michael Scharang im vorigen „Spectrum“ zu einem Rundumschlag von heftigster Aggressivität veranlasst, bei dem man sich sprachlos fragte, was diesem klugen Mann da widerfahren war.

Der Grundgedanke seiner reichlich sprunghaften Argumentation war, dass ein solcher Preis per se nichts anderesfördern kann als die politisch, moralisch und stilistisch (in Scharangs Sicht nachvollziehbar alles dasselbe) vollkommen auf den räudigen Hund gekommene Literatur dieses Landes, die dem Denken der hinterhältigen Preisstifter eh bereitwillig entgegenkommt.

Diese Attacke aus einer ziemlich staubigen Lade geht von der Behauptung aus, dass die Literatur, die heute geschrieben wird, nur ein Abklatsch der dringend zu verändernden Welt sei und damit die Bestätigung ihres jammervollen Zustandes. Anders gesagt: Scharang unterstellt, dass die derzeit arbeitenden Schriftsteller und Schriftstellerinnen mit der Welt, wie sie sie erfahren, völlig einverstanden und zufrieden sind. Mit dieser Haltung produzieren sie Bücher, die „massenhaft“ verkauft werden, wobei Scharang noch eins drauflegt mit dem Wort „urfaschistisch“. Da die Autoren ein Denkverbot akzeptiert haben, bleiben sie „stumpfsinnig“ einer Untergangsmentalität à la Bernhard angeschlossen, sagt Scharang.

Nase nah am Arsch des Zeitgeistes

Geschmacklos genug unterstellt Scharangdann noch, die heutige Literatur wolle im Grunde, gewalt- und staatsnah wie sie ist, ihrem Credo entsprechend vor dem eigenen Ende noch „sich ein Vergnügen gönnen und alle anderen auslöschen“. Dahin kommt es, wenn Literaten sich als mögliche Weltenretter verstehen.

Und er sagt, was man nur zitieren, aber nicht sinnvoll zusammenfassen kann:„Die Literatur hat ihre Nase näher am Arsch des Zeitgeistes als die Politik, sie hat den Rechtsruck, den die Politik gerade vollzieht, bereits hinter sich. Wo immer Euroland zu Naziland mutiert, hat die Literatur das Terrain schon bereitet.“Euer Ehren: Haben Sie tatsächlich vergessen, wie „Naziland“ war?

Scharang unterstellt der gesamten Kollegenschaft radikalen Denkverzicht,was durch ein Pauschallob am Ende nicht mehr gutzumachen ist. Dass dann auch die Literaturkritik noch eins draufkriegt, überrascht bei diesem Verzicht auf Differenzierung – um nicht zu sagen: Nachdenken – wenig.

Wie wir alle wissen, braucht Kunst, brauchen Künstler die (auch finanzielle)Ermöglichung von Staats wegen, das hat zum Glück auch das zuständige Ministerium verstanden. Auch deswegen gibt es Förderungen und Preise. Das hat derKunst noch nie ihre Selbstständigkeit beschränkt.

Das Klügste, bester Herr, wäre doch, wenn Sie die Energien, die man in unserem Alter noch hat, einsetzen würden,um noch einmal ein Buch zustande zu bringen, dem eine kluge Jury womöglich den Österreichischen Staatspreis verleiht. Sie können ihn dann ja immer noch ablehnen. ■


Jochen Jung, geboren 1942 in Frankfurt am Main, Dr. phil., ist Verleger (bis 2000 Residenz Verlag, seither Jung und Jung Verlag) und Autor. 2015 ist bei Haymon herausgekommen: „Zwischen Ohlsdorf und Chaville. Die Dichter und ihr Geselle“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2016)

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