Trennung und Einheit

Äußere Grenzen sind gefallen, neue werden gebaut. Was hilft zur Überwindung? Wo erlebe ich Begegnungen, die meinen Horizont öffnen?

BIMAIL VON Dominik Markl, SJBerlin und Jerusalem – zwei jener Städte, in denen erlebbar wird, was Trennung bedeutet. Berlin, das im Oktober1989 wochenlang in Feststimmung wogte, weil man einander wieder die Hand schütteln konnte. Die Aufbruchsstimmung liegt noch immer in der Luft... Und Jerusalem, wo man sich beklemmt zwischen den militärischen und geistigen Schranken der Altstadtgassen hindurchzwängt. Wo die Klagemauer der Juden seit jüngster Zeit einer Betonmauer gegen Ramallah und Bethlehem gegenübersteht – eine Klagemauer der Palästinenser.

Die Spannung von Trennung und Einheit ist eine menschliche Grunderfahrung. Scharfsinnig thematisiert dies schon die biblische Schöpfungsgeschichte. Unzufrieden ist Adam, „der Mensch“, bis er in Eva, dem „Leben“, jemanden seinesgleichen findet, um mit ihr „ein Fleisch“ zu werden (Gen, 2). Die Einheit der Urfamilie zerbricht schon am ersten Brüderpaar Kain und Abel. Die Einheit der Menschheit zerbricht erneut am Turm von Babel. Mit Mühen etabliert sich Israel als Volk des einen Gottes gegenüber den vielen Völkern mit ihren vielen Göttern. Erstmals macht sich die universale religiöse Vision einer gemeinsamen Suche aller Völker nach dem einen Gott bemerkbar, wenn Jesaja alle Nationen nach Jerusalem pilgern sieht und sie bekennen lässt: „Kommt, wir wollen unsere Wege gehen im Licht des Herrn“ (Jes 2,5). Die gleiche Idee bewegt Psalm 117: „Lobt den Herrn, alle Nationen! Rühmt ihn, alle Völker!“

In dieser Tradition lässt Matthäus den Auferstandenen am Ende seines Evangeliums sagen: „Geht, macht alle Völker zu Jüngern, tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes!“ Gewiss hat dieser Gedanke in der Geschichte zu Weisen der Mission beigetragen, die mehr getrennt als vereint haben. Doch scheint bei Johannes die „eine Herde“ nicht durch menschliche Mission geeint zu werden. Vielmehr bringt Jesus selbst die Schafe, die „nicht aus diesem Stall“ sind, herbei zum „einen Hirten“.

So sehr das himmlische Jerusalem in der Offenbarung des Johannes als Sinnbild der vollendeten und vereinten Menschheit gezeichnet ist, so sehr spiegelt das reale Jerusalem ihre gegenwärtige Zerrissenheit. Ähnlich wie am Turm von Babel stellen sich heute am New Yorker Twin Tower Grundsatzfragen: Als Symbol weltweiten Handels errichtet, ist er zum Zeichen für die Brisanz globaler Ansprüche geworden. Selbst die christlichen Kirchen ringen mit Mühe um eine neue Weise der Einheit. Die Sehnsucht nach Einheit brennt immer in einzelnen Menschen. In welchen Momenten erlebe ich die Freude von Begegnungen, die über meinen kleinen Horizont hinausgehen? Wann kann ich wieder mit meinem afrikanischen Freund, mit meiner muslimischen Kollegin sprechen? Wann werden wir den „Mauerfall“ in Jerusalem erleben?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2009)

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