Die Schwachstellen der Deutschen

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Deutschlands Höhenflug mache das Land blind für seine Schwächen, warnt die OECD: Deutsche gehen zu früh in Rente, investieren zu wenig und werden kaum noch produktiver.

Wien. Deutschland hat sich an seine Rolle als wirtschaftlicher Überflieger Europas mittlerweile schon gut gewöhnt. Vielleicht zu gut, warnt die OECD. Zwar wächst die Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik seit Jahren, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Löhne steigen, und sogar der Finanzminister nimmt mehr Geld ein, als er ausgibt. Aber das könnte sich schon bald wieder ändern. „Es gibt wenig Grund zur Selbstzufriedenheit“, mahnte Generalsekretär Ángel Gurría bei der Präsentation des Berichts seiner Organisation am Dienstag in Berlin.

Die Wirtschaft des Landes sei zwar weiterhin robust, aber keineswegs auf die kommenden Herausforderungen vorbereitet. Vor allem vier Punkte bereiten den Experten im Klub der Industrienationen Kopfzerbrechen.

Reformen zurückgedreht

Erstens: Die Deutschen drohen zu vergessen, was sie erst stark gemacht hat. Vor mittlerweile 13 Jahren hat die Regierung mit einem Bündel an Strukturreformen unter dem Namen Agenda 2010 den Grundstock für das gelegt, was das Land heute erntet. Inzwischen ist die Regierung in Berlin allerdings dabei, die Reformen von gestern wieder rückgängig zu machen. Oft zitiertes Beispiel ist die eher atypische Verringerung des Pensionsantrittsalters auf 63 Jahre. Bis 2029 soll es auf 67 Jahre steigen.

Der OECD ist das nicht genug. Sie fordert, das Pensionsantrittsalter direkt an die steigende Lebenserwartung zu koppeln. Bleiben derartige Reformen aus, würden die Ausgaben für die deutsche Rente bis 2060 um mindestens 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zulegen, „was die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen beeinträchtigen würde“.

Zweitens: Die Deutschen geben zu wenig Geld aus. Diesen Vorwurf musste sich das Land in den vergangenen Jahren immer wieder gefallen lassen. Zumindest die deutschen Konsumenten können damit nicht gemeint sein. Diese tragen ihre höheren Löhne bereits seit geraumer Zeit nicht mehr auf die Bank, sondern lieber in die Geschäfte und stabilisieren so die deutsche Volkswirtschaft. Diesmal richtet sich die Kritik also ganz exklusiv an die Unternehmen des Landes. Gemessen an der Wirtschaftsleistung investieren sie deutlich weniger in Maschinen und Anlagen als etwa Österreich und der Großteil der Industrienationen (siehe Grafik). Die OECD zeigt dafür zwar gewisses Verständnis: Das globale Wirtschaftswachstum sei verhalten. Und die Probleme großer Schwellenländer wie China lasten auf den deutschen Exporten. „Die Erholung der Unternehmensinvestitionen verläuft daher schleppend“, schreiben die Autoren. Dennoch müssten die Firmen jetzt Investitionen tätigen, um das künftige Wachstum zu sichern. Für heuer rechnet die OECD gerade noch mit einem BIP-Plus von 1,4 Prozent. Im kommenden Jahr sollen es 1,5 Prozent sein.

Drittens: Die Deutschen arbeiten offenbar nicht mehr ganz so gut, wie es einmal war. Die Produktivität der Arbeitnehmer sei zwar im internationalen Vergleich noch hoch, sie wachse aber kaum noch, sagte Ángel Gurría. Deutschlands Industrie, aber auch der Dienstleistungssektor drohen abzurutschen.

Viele Alte, wenige Arbeiter

Die hohen Reallohnzuwächse der vergangenen Jahre (im Vorjahr gab es nach Abzug der Inflation im Schnitt 2,4 Prozent mehr Geld für deutsche Arbeitnehmer), verstärken diesen Trend negativ. Da die hohen Einkommen aber einerseits gerechtfertigt und andererseits notwendig seien, um den Konsum zu halten, müsse sich eben der Staat ein wenig genügsamer zeigen, folgert die OECD. In kaum einem Land sei die Belastung des Faktors Arbeit so hoch wie in Deutschland. Jede Lohnerhöhung freut damit in erster Linie den Finanzminister – und erst danach die Arbeitnehmer. Diese Belastung solle tunlichst gesenkt werden.

Viertens: Die Alterung der Gesellschaft wird die deutsche Wirtschaft schon bald vor große Herausforderungen stellen. Schon in den kommenden Jahren werde eine große Lücke auf dem Arbeitsmarkt aufgehen, so die Prognose. Die hohe Zahl an Flüchtlingen könne dieses Problem nur teilweise lösen. Die Menschen seien zwar jung, dafür allerdings meist sehr schlecht ausgebildet. Die Integration (inklusive Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt) sei kostspielig und könnte „möglicherweise den gegenwärtig bestehenden fiskalischen Spielraum übersteigen“. (auer)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2016)

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