Der Mond hat keine dunkle Seite

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Jeder Mensch kennt ihn, zwölf waren dort, vor 40 Jahren der erste, 1972 der letzte. Seitdem hat er wieder Ruhe. Aber er lässt uns nicht los.

1. Was hat der Mond mit uns zu tun?
Viel bis alles. Er ist nicht nur unser optisch freundlicher Begleiter, er stabilisiert die Erdachse. Ohne ihn würde die Erde torkeln und ihre Klimazonen verschieben, höheres Leben wäre kaum möglich. Manche Forscher spekulieren, dass der Mond bzw. die von ihm ausgelösten Gezeiten auch die Entstehung des Lebens erst ermöglicht haben.


2. Was ist der Mond?
Eine an den Polen leicht abgeplattete Steinkugel mit 3476 Kilometer Durchmesser, das ist ein Viertel von dem der Erde. Der Mond ist weniger dicht, er hat 1/81 der Masse der Erde und 1/6 ihrer Gravitation. Auf ihm ist also alles leicht, nur das Leben nicht: Er hat keine Atmosphäre, kein Wasser (zumindest an der Oberfläche), enorme Temperaturschwankungen, am Äquator herrschen am Tag 127 Grad, in der Nacht minus 173. Er sieht nur so mild aus, wenn er in einer mittleren Entfernung von 384.403 Kilometer an uns vorbei zieht und alle 29 Tage, zwölf Stunden und 44 Minuten voll ist oder neu.


3. Wo kommt er her?
Vermutlich von der Erde: Kurz nach ihrer Entstehung vor 4,5 Milliarden Jahren schlug ein marsgroßer Himmelskörper in sie ein und Material aus ihr heraus, das sich dann zum Mond zusammenfand.


4. Hat er eine dunkle Seite?
Nein, nur eine abgewandte. Der Mond dreht sich während eines Umlaufs um die Erde auch einmal um sich und wendet uns so immer die gleiche Seite zu. Die andere sehen wir nie, aber sie ist nur abgewandt, nicht dunkel, auch sie gerät ins Sonnenlicht. Rätselhaft ist sie doch, sie hat eine andere Geologie.


5. Hat er dunkle Seiten für uns?
Das weiß doch jeder, der kurz vor Vollmond mit dem Auto unterwegs ist: Alle (anderen) fahren dann noch verrückter. Solche Gewissheiten sind Allgemeingut, die Liste nimmt kein Ende: Mord und Selbstmord, die Bisswut der Hunde und die Wuchskraft der Bäume – alles soll der Macht des Mondes bzw. seiner Phasen unterliegen. Aber der Christbaum nadelt, ob er bei zu- oder abnehmendem Mond geschlagen wurde, und ein Blick in die Unfall-Statistik zeigt auch keinen Zusammenhang. Das gilt für alle „lunaren Effekte“, etwa die von manchen Ärzten gefürchteten auf die Wundheilung nach Operationen: Der Wissenschaft zeigen sie sich nicht. „Diese Geschichten von der ,Macht des Mondes‘ sind – wie die Sternhoroskope auch – Unterhaltungsprodukte, die die Ent-Bildung fördern“, erklärt Astronom Günther Wuchterl (Kuffner Sternwarte) und rät: „Sie sollten den Vermerk tragen: Achtung! Wenn Sie diese Geschichte glauben, sind Sie selbst schuld!“


6. Hat er andere Einflüsse auf uns?
Er verursacht die Gezeiten (und nimmt über sie regional Einfluss auf das Wetter, global nicht, er ist der gleiche über Islandtief und Azorenhoch). Sonst tut er uns nichts: Selbst die Menstruation, die einem ähnlichen Rhythmus folgt, ist nur semantisch mit ihm verbunden (in ihr steckt das lateinische Wort für Monat, mensis): Der weibliche Zyklus schwankt zwischen Individuen und zwischen Kulturen, bei Japanerinnen ist er zwei Tage kürzer als bei US-Amerikanerinnen. Er hat zudem bei unseren engsten Verwandten, den Schimpansen einen ganz anderen Takt, 35 Tage.


7. Aber die Psyche und das Gemüt?
Früher strichen bei Vollmond Werwölfe herum, heute tun es nur noch Mondsüchtige: Somnambulismus ist eine Schlafstörung, in der Menschen verschiedene Aktivitäten entwickeln, etwa herumgehen, dabei wenden sie sich oft dem Mond zu. Aber er ist nicht die Ursache – die ist unbekannt –, er ist bzw. war die zentrale Lichtquelle der Nacht und bietet Orientierung. Das Gemüt allerdings kann sich seinem Licht nicht entziehen, selbst Hardcore-Astronomen können ein Lied davon singen, falls sie je verliebt waren, in einen anderen Menschen oder die Dichtkunst.


8. Was brachten die Mondflüge?
363 Kilo Mondgestein für die Forschung. Und für den Alltag allerlei „spin-offs“ – verspiegelte Sonnenbrillen etwa –, allerdings nicht das berühmteste: Teflon wurde 1938 patentiert. Das Wichtigste, was die Mondfahrer mitbrachten, war immateriell: der Blick auf die Erde, die zerbrechliche.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2009)

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