Souffleusen: "Keine Details! Welches Stück?"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Souffleusen im Musiktheater sind nicht nur für den Notfall da, sie geben jeden Texteinsatz, zeigen Regieanweisungen an und müssen sogar dirigieren. Teil eins der Serie »Theaterberufe«.

Es ist eine alte Anekdote – aber immer noch gut: wie der große Raoul Aslan in „King Lear“ seinen Text vergessen habe und die Souffleuse ihm einsagen – oder, wie es im Theaterjargon heißt: einhelfen – musste. Sie tat dies nach allen Regen der Kunst. aber statt Dank zu ernten, wurde sie nur angeknurrt: „Keine Details! Welches Stück?“

So stellt man sich den Job einer Souffleuse vor. Als Einflüsterin in Notfällen, als hilfreicher unsichtbarer Geist, der still darauf wartet, dass einer auf der Bühne den Text vergisst, und dann einspringt. An dieser Vorstellung stimmt so gut wie gar nichts, jedenfalls nicht, wenn man fürs Musiktheater arbeitet wie Rebecca Bedjai.

Zum einen: Eine Opern- oder Operettensouffleuse flüstert nicht! Eigentlich spricht sie meistens sogar ziemlich laut – so laut, dass sie ohne entsprechende Stimmausbildung wohl so manches Mal heiser aus der Vorstellung käme. Immerhin gilt es, das Orchester zu übertönen! Auch das mit dem Warten auf ein Hoppala ist so eine Sache: Im Sprechtheater mag es angehen, dass die Antwort ein, zwei Sekunden zu spät kommt oder sich der Beginn des Monologes ein wenig verzögert.

Aber bei einer Oper, einer Operette? „Bei uns wird gleich souffliert, da kann man nichts riskieren. Das Orchester spielt ja weiter!“ Und wird auch nicht langsamer werden, nur weil der Tenor mit dem Text ringt. Also sagt Rebecca Bedjai den Beginn jeder Zeile vor. In ihrer Diktion heißt das: Sie schlägt die Sänger an. Dafür sitzt sie auf einem hohen Drehsessel in ihrem Souffleurkasterl und ruft den Akteuren auf der Bühne zu: „Lass!“ – Denk!“ – „Nimm lieber!“ – „Marie“ – „Und!“ – „Den!“ –„Mein!“ Erkannt? Es handelt sich um Carl Zellers „Der Vogelhändler“. Premiere ist am 6. September.

Ein Souffleur im Musiktheater ist also ständig beschäftigt. Manchmal wird es dabei ganz schön hektisch: Denn es genügt nicht nur, „anzuschlagen“, also den Sängern in die Zeile zu helfen. In der Verantwortung der Souffleuse liegen auch die Einsätze: Die Souffleusen dirigieren mit. Ein erhobener Zeigefinger bedeutet so viel wie: Achtung. Die flache Hand heißt Stopp, für den Einsatz steht ein kurzes Tippen, soweit ist alles klar. Aber warum krabbelt sie jetzt plötzlich mit den Fingern in der Luft von links nach rechts? „Ich zeige dem Sänger, wohin er gehen soll. Wir haben viele Gäste, und auch sonst wechselt die Besetzung immer wieder. Selten, dass das Ensemble fix ist.“ Weil sich nun nicht alle kurzfristig jeden Auf- und Abgang merken können, hilft sie also auch da.

Was wann zu tun ist, entnimmt sie einem großformatigen Buch mit der aktuellsten Fassung des Klavierauszugs und des Textes. Sie selbst hat das Buch „eingerichtet“, sie ist nämlich für den „Vogelhändler“ verantwortlich. Aber damit jederzeit eine Kollegin oder ein Kollege einspringen können, wird jede Veränderung penibel notiert, etwa wenn der Regisseur eine längere Pause vorsieht oder wenn ein Sänger gerne vom Text abweicht. Das kommt immer wieder vor, vor allem bei bekannten Werken: „Jeder hat seine eigene Variante der ,Fledermaus‘, darauf muss man sich einstellen.“ Für den „Vogelhändler“ gibt es einstweilen nur eine Fassung für alle. Der Idealzustand für die Souffleure. Man wird sehen, wie lange das hält.

Musste dirigieren erst lernen. Rebecca Bedjai, die mit dem ebenfalls an der Volksoper engagierten deutschen Tenor Michael Ende liiert ist, stammt aus Deutschland. Dort hat sie als Hospitantin gearbeitet, als Regieassistentin, beim Kinderchor und als Toninspizientin, um nur einige Stationen zu nennen. „Eigentlich habe ich fast alles gemacht, was es im Theater so gibt.“ Schließlich wurde sie als Souffleuse engagiert und kam nach Wien.

„An der Volksoper muss man ja nicht nur Deutsch soufflieren, sondern auch Französisch, Italienisch, Englisch und Wienerisch! Das war für mich besonders schwer. Aber immerhin durfte ich schon nach einem Jahr einige Proben für ,Wiener Blut‘ übernehmen.“ Noch etwas ist in Wien anders: In Deutschland ist es nämlich keineswegs üblich, dass man als Souffleuse auch dirigiert, das musste sie erst lernen.

Überhaupt werden dort die Dienste ihrer Kollegen immer seltener gebraucht. Zum einen muss gespart werden. Zum anderen setzen sich die Bühnenbildner durch: „Manche stört das schwarze Kastl.“ Das übrigens gar nicht immer ein Kastl ist. Manchmal ist es eine Muschel und manchmal eine Box, die versenkt werden kann, etwa beim Musical, wenn die Fläche zum Tanzen gebraucht wird.

Publikum bekommt wenig mit. Was sie sonst noch tun muss? Bei den Proben übernimmt sie zum Teil die musikalischen Einsätze und hilft bei den Dialogen – wenn etwa ein Sänger neu in ein Repertoirestück einsteigt. Und dann gibt es natürlich auch in Oper und Operette regelrechte Aussetzer. Da genügt dann nicht nur ein Wort zum Anstupsen, dann muss schon die ganze Zeile her. „Wenn einer nicht weiterweiß, bemerkt er das zum Glück ja schon vorher. Die Sänger schauen mich dann an und ich weiß, ich muss anschlagen.“ Mehr oder weniger laut, mehr oder weniger deutlich. „Manchmal wundert es mich schon, wie wenig das Publikum eigentlich mitbekommt.“

Hinterm Vorhang

Theaterberufe gibt's nicht nur im Rampenlicht. Schon allein für dieses braucht es den Inspizienten. Dass darin das richtige Sofa erscheint, verantwortet der Herr des Schnürbodens. Davor muss der Tapezierer ran, muss die Requisite etwa für bühnengerechten Schampus sorgen. Und um diesen im Rampenlicht auch stilgerecht zu genießen, wird schon mal die Perückenmacherin angestrengt.

Geschichte

Der „Einbläser
Das Wort „Souffleur“ kommt aus dem Französischen und bedeutete ursprünglich „Bläser, Einbläser“. Dieser bediente früher den Blasebalg der Orgel. Zu seinen Pflichten im Kirchenchor gehörten u. a. auch das Einstudieren der Texte, die Sorge um Notenblätter, Kostüme, Beleuchtung oder gar um die Unterkunft des Chores.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2009)

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