Russlands Wirtschaftskrise ist auch eine Krise im Kopf

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Russlands Wirtschaft ist in eine gefährliche Schieflage geraten. Die Menschen spüren das zunehmend. Schade, dass sie Mythen pflegen, statt zu reflektieren.

Wie schlecht es um die Wirtschaft Russlands, in dem Bundespräsident Heinz Fischer zu Besuch ist, wirklich steht, ist trotz der Zahlen wie so oft Ansichtssache. Die Rezession von 3,7 Prozent im Vorjahr und die von ein bis zwei Prozent heuer sind allemal schmerzhaft. Und doch ist sie nichts im Vergleich zum Jahr 2009, als das Bruttoinlandsprodukt im Sog der Finanzkrise um 7,9 Prozent absackte und den Rohstoffboom jäh unterbrach. Auch haben die Russen schon Schlimmeres erlebt, und die breite Gesellschaftsschicht unter der mittleren hat sich auch in Zeiten des Booms eher psychologisch stabil gefühlt als wirklich materiellen Wohlstand erfahren.

Am Befund der Ökonomen, dass die jetzige Krise im Vergleich zu 2009 eine langwierige ist, ändert dies freilich nichts. Zu heterogen sind nämlich ihre Ursachen: Hier das strukturelle Problem, weil die natürlich hohe Nachfrage der postkommunistischen Aufbauzeit zurückgeht, die Produktionskapazitäten zunehmend erschöpft sind und kaum Voraussetzungen für ein investitionsgetriebenes Wachstumsmodell anstelle des bislang ölgetriebenen geschaffen wurden. Da der Ölpreisverfall, der seit über eineinhalb Jahren der Staatskasse zusetzt und neue Geldquellen erfordert. Schließlich die westlichen Wirtschaftssanktionen, die als Verstärker der anderen Negativmomente hinzukommen.

Man soll sich keine Illusionen machen: Die Sanktionen, über die sich Fischer in Moskau unglücklich zeigte, sind unangenehm für beide Seiten, aber sie allein zwingen Russlands Wirtschaft nicht in die Knie. Viel folgenschwerer ist der generelle Isolationismus, in dem der Staat durch seine außenpolitisch und militärisch hyperaktive Führung gelandet ist. Von einem selbst gewählten Weg der Deglobalisierung ab 2012 sprach etwa der vor drei Jahren aus Moskau nach Paris geflüchtete Starökonom Sergej Guriev kürzlich im Interview mit der „Presse“ und zitierte seinen Berufskollegen Dani Rodrik in Harvard, demzufolge noch kein Land wirtschaftlich aufgeblüht sei, wenn es sich von der Außenwelt isoliert habe.

Allmählich kommt die wirtschaftliche Durststrecke bei der einfachen Bevölkerung an. So weist die staatliche Statistik aus, dass die Zahl der Armen im Vorjahr um 3,1 Millionen Personen auf 19,2 Millionen Personen gestiegen ist – auf den höchsten Wert seit 2006. Das Meinungsforschungsinstitut VCIOM zeigt, dass zum ersten Mal seit Durchführung der Umfragen die Deflationsstimmung signifikant zunimmt und die so konsumfreudigen Russen plötzlich möglichst wenig ausgeben wollen. Als Symbol der Krise gilt übrigens die Mittelschicht, die durch die Rubel-Abwertung nun auf ihren doppelt so teuren Fremdwährungskrediten sitzt. An dieser Schicht zeige sich auch die Tragödie des mangelnden Pluralismus in den russischen Wirtschaftsmedien, die den Zustand jahrelang schöngefärbt und zu Fehlentscheidungen geführt hätten, so der Petersburger Wirtschaftsprofessor Grigori Golosov.

An allen Ecken und Enden prägen Fehlwahrnehmung und Fehleinschätzung das Bild. So wird – auch mittels staatlicher Propaganda – ausgeblendet, dass außenpolitischer Bedeutungsgewinn inklusive Isolationismus und wirtschaftlicher Misere eben doch miteinander korrelieren, weil der Zugang zu Geld im Ausland blockiert ist und Investoren Abstand nehmen.

Stattdessen werden Mythen kultiviert: Der Westen stecke hinter der russischen Wirtschaftskrise; Wladimir Putins Wirtschaftspolitik und nicht der Ölpreis habe in den Nullerjahren zum Aufschwung geführt; Privatunternehmertum sei verdächtig und dem Staatssektor unterzuordnen; die Aufdeckung der Offshore-Aktivitäten von Putins Freunden sei eine russlandfeindliche Aktion usw.

Es ist das Versinken in diesen Mythen, das Russland gefährlich macht. Denn zur Ablenkung von der Misere könnten sich Putin und das Volk auf neue außenpolitische Abenteuer verständigen. Wie auch im individuellen Leben ist Flucht in die Aktion nun einmal einfacher als Reflexion, die den wahren Ursachen für das Desaster auf den Grund gehen und in einer anderen Art des Denkens münden würde. An dieser Reflexion führt kein Weg vorbei.

E-Mails an: eduard.steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2016)

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