Mehr Wirtschaft in der Schule? Bitte nicht!

Die Presse (Clemens Fabry)
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In Österreich wird immer wieder gefordert, an den Gymnasien mehr Wirtschaftskunde zu lehren. Dabei wäre gar kein Wirtschaftsunterricht vermutlich die bessere Idee, wie ein Blick in gängige Schulbücher zeigt.

Absolventen österreichischer Gymnasien mögen die Schule ja mit einer Reihe von Wissenslücken verlassen, wie immer wieder moniert wird. Aber eines ist ihnen beim Schulabgang völlig klar: Die Wirtschaft ist nicht der Motor eines noch nie da gewesenen Massenwohlstands. Sie verschmutzt vielmehr die Umwelt, erhöht die Armut, gefährdet die Demokratie und dient nur einem Zweck: die Taschen einiger weniger zu füllen, während die Armen immer ärmer werden.

Wer derartige Befunde für überzogen hält, sollte bei Gelegenheit einen Blick in die Schulbücher seiner Kinder werfen. Vor allem in eines, das im Fach Geografie und Wirtschaftskunde in den siebenten und achten Klassen zum Einsatz kommt: „Geospots“, Verlag Veritas.

Mehr Staat, weniger Markt

Die Autoren dieses Buchs halten sich gar nicht erst lang mit verwirrenden Einerseits/Andererseits-Darstellungen auf. Der Fokus liegt klar auf dem Einerseits. Wer mit dem Kapitel „Volkswirtschaft Österreich“ durch ist, weiß, dass der Weg zu allgemeinem Wohlstand ausschließlich über mehr Staat und weniger Markt führen kann.

Denn das große Übel unserer Zeit trägt einen Namen: Neoliberalismus. „Seit dem Zusammenbruch des Sowjetsystems und der beschleunigten Globalisierung ist die neoliberale Wirtschaftspraxis weltweit vorherrschend.“ Mit verheerenden Folgen, denn: „Neoliberale Wirtschaftspolitik richtet sich gegen staatliche Maßnahmen europäischer Wohlfahrtsstaaten. Steigende Armut ist die Folge.“

Die Rede ist von radikalliberalen Umtrieben, die dafür sorgen würden, dass Staaten ihre Ausgaben kürzen müssen und immer mehr Bereiche des öffentlichen Lebens privatisiert werden.

An dieser Stelle wäre wohl der Hinweis angebracht, dass die Neoliberalen historisch gesehen scharfe Gegner des Laissez-faire waren, also des unregulierten Wirkens von Angebot und Nachfrage. Sie gaben dem Staat breiten Raum und plädierten für eine strenge (staatliche) Wettbewerbspolitik, die das Entstehen privater und öffentlicher Monopole verhindern sollte. Das belächelte Wikipedia weiß das (Stichwort „Colloque Lippmann“), die Autoren heimischer Schulbücher wissen es nicht.

Sie zimmern sich ihre eigene Interpretation und verwenden den Neoliberalismus als politischen Kampfbegriff, stellvertretend für alles Schlechte, wie zum Beispiel die steigende Armut im Zuge der beschleunigten Globalisierung.

Schüler, die hin und wieder die „NZZ“, die „Frankfurter Allgemeine“ oder den britischen „Economist“ lesen, kennen einen anderen Befund. Internationale Medien bringen immer wieder Berichte, die vor allem eines zeigen: dass die globale Armut seit 1990 eben durch diese „beschleunigte Globalisierung“ stärker zurückgedrängt werden konnte als je zuvor in der Geschichte der Menschheit (siehe „Towards the End of Poverty“ im „Economist“). Die These wurde mit einer Reihe gesicherter Zahlen unterlegt, auch die Weltbank kommt zu ähnlichen Schlüssen.

IWF, Weltbank, WTO: Pfui!

Aber das ist nicht überraschend, denn: „IWF, WTO und Weltbank betreiben seit der neoliberalen Wende ausnahmslos eine Politik entlang dieser Grundsätze.“ Mit bekannten Folgen: „Neoliberale Vorgaben spalten die Gesellschaft in wenige Reiche, einen schwachen Mittelstand und eine Vielzahl von Armen.“

Ganz besonders stark zu beobachten sei das in den postkommunistischen Reformstaaten. Auch „China setzt mit seiner sozialistischen Marktwirtschaft ebenfalls auf die Prinzipien von Kapitalismus und Neoliberalismus.“ China ist vermutlich die erste neoliberale Planwirtschaft der Welt.

Vorenthalten werden den Schülern Begebenheiten aus garantiert antineoliberalen Teilen dieser Welt. Etwa die lange vor dem Ölpreisverfall einsetzende Mangelwirtschaft und Massenverelendung in Venezuela. Lebensnotwendige Medikamente sind dort nur noch auf dem Schwarzmarkt und Grundnahrungsmittel nur zu horrenden Preisen zu bekommen.

Dafür beklagen die Autoren, dass mittlerweile selbst die sozialdemokratische Wirtschaftspolitik von neoliberalen Ansätzen geprägt ist. „Dritte Wege wie Tony Blairs New Labour sind Zeugen dieser Entwicklung, wo auf die Marktkräfte und privates Kapital gesetzt wird.“ Womit die Autoren auf den Punkt kommen: Allein das Wirken von Angebot und Nachfrage sowie der Einsatz von privatem Kapital ist ihrer Ansicht nach (skandalöse) „neoliberale Praxis“.

EU-Beitritt brachte die Wende

Dass derartige Sichtweisen 25 Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus heimischen Schülern als wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse vorgesetzt werden, hat schon was. Aber zum Glück gibt es noch Länder wie Österreich: Die öffentlichen Ausgaben liegen bei 52 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung, der Staat ist also der mit Abstand größte Wirtschaftsfaktor des Landes. Die Steuern sind hoch, der Sozialstaat wurde in Zeiten der Krise weiter ausgebaut, etwa mit der Einführung der bedarfsorientierten Mindestsicherung. Von Deregulierung ist keine Spur – ganz im Gegenteil, die Regulierungsdichte steigt nahezu stündlich. Die Arbeitnehmerrechte zählen zu den stärksten und die Ladenöffnungszeiten zu den strengsten der Welt.

Wer nun glauben sollte, dass wenigstens im kleinen Österreich noch alles in sozialpartnerschaftlicher Ordnung ist, sollte „Geospot“ lesen. Mit dem Beitritt zur EU kam auch hier die (neoliberale) Wende: „Damit halten Elemente des Monetarismus und Neoliberalismus Einzug in die österreichische Wirtschaftspolitik.“ Mit schlimmen Folgen: „Sparpakete zur Reduzierung der Budgetdefizite und der Rückzug des Staates als Unternehmer aus der verstaatlichten Industrie waren kennzeichnend.“

Mehr Ausgaben als Einnahmen

Dass sich der Staat nicht wegen des EU-Beitritts aus vielen Unternehmen zurückgezogen hat, sondern, weil Staatsbetriebe reihenweise in die Pleite geschlittert sind, dürfte den Autoren entgangen sein. Auch von Sparpaketen ist weit und breit nichts zu sehen. Jahr für Jahr wird mehr ausgegeben als eingenommen, der Bundeshaushalt war in den vergangenen 70Jahren vier Mal im Plus und 66 Mal im Minus. Den letzten Überschuss gab es 1962 – der „neoliberalen“ EU beigetreten ist Österreich 1995. Seither expandiert der öffentliche Haushalt in atemberaubender Manier.

Nun ist es völlig legitim, Privatisierungen, Steuersenkungen und Ausgabenkürzungen kritisch zu sehen. Auch sollten Schüler Nachteile und Risken der Globalisierung kennen. Aber sollten Schüler nicht lernen, sich ihre eigene Meinung zu bilden? Wenn ja, warum segnet das Bildungsministerium dann ideologisch derart gefärbte Schulbücher ab? Hierzulande wird ja immer wieder gefordert, in den Gymnasien mehr Wirtschaft zu lehren. Diese Forderung sollte man überdenken. Es könnte nämlich sein, dass gar kein Wirtschaftsunterricht für die Schüler die weitaus bessere Variante ist.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Dr. Franz Schellhorn (*1969 in Salzburg) studierte Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien. Ab 1997 Wirtschaftsredakteur der „Presse“, 2004–2013 Leiter des Wirtschaftsressorts, 2011–2013 stellvertretender Chefredakteur. 2009 wurde er mit dem Horst-Knapp-Preis ausgezeichnet. Seit 2013 Direktor der wirtschaftsliberalen Denkfabrik Agenda Austria.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2016)

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