Der große Mondschwindel

(c) AP (Neil Armstrong)
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Die Reise zum Mond hat schon immer Visionen und Verschwörungstheorien produziert. Eine kleine Kulturgeschichte der zwiespältigen Darstellung des Mondflugs in Film, Fernsehen und Literatur.

Es herrschte große Aufregung in Rotterdam, als Hans Pfaall vom Mond zurückgekehrt war – mit einem Ballon aus Zeitungspapier, den er sich dort gebaut hatte. Begierig verschlang man seinen Bericht über die Reise zum Mond, das Leben darauf, seine seltsamen Bewohner. Die Sache hatte natürlich einen Haken: Wie man unter anderem bemerkte, „seien die Zeitungen, mit denen der Ballon über und über beklebt war, holländische Blätter“.

Der Mondflug diente Edgar Allen Poe in „Das unvergleichliche Abenteuer eines gewissen Hans Pfaall“ vor allem als Vehikel für eine Satire auf die Blendkraft der Sensationen und ihrer Übermittler, der Massenmedien. Umso ironischer mutet das Schicksal seines Science-Fiction-Pionierwerks an: Poe publizierte den gefälschten Bericht 1835 in einem Magazin – und wurde prompt von einer ähnlichen Fabrikation überschattet. Diese als „Great Moon Hoax“ („Der große Mondschwindel“) legendäre Artikelserie beschrieb die Entdeckungen eines Wissenschaftlers am Mond „realistisch“, ohne Poes Ironie und Witz – worin der vergrämte Autor den Grund für den Erfolg der „glaubwürdigeren“ Konkurrenz-Falschmeldung sah.

„Pfaall“ aber bleibt visionär in seiner Vorwegnahme von zweierlei Schwindel: Einerseits geht es um eine Konspiration zur Vortäuschung der Mondreise – eine Spielwiese für Verschwörungstheoretiker seit dem Medienspektakel zur Mondlandung 1969 –, andererseits prägte Poe eine Vision schwindelerregender lunarer Fantasien. Die Beschreibung des Blicks (zurück) auf die Erde, mitentscheidend für die Faszinationskraft unseres Trabanten, fehlt ebenso wenig wie ausgeklügelte pseudowissenschaftliche Erläuterungen, die das Unmögliche (einen Ballonflug zum Mond) möglich machen.

Atmen auf dem Mond? Kein Problem!

So ließ Jules Verne 1865 im Roman „Von der Erde zum Mond“ seine Reisenden per Mondkanone hochschießen, 1901 bei H.G. Wells benötigen „Die ersten Menschen am Mond“ das fiktive neue Material „Cavorit“. Inzwischen setzte eine neue Kunstform zum Sprung auf den Mond an: Der frühe Kinomagier Georges Méliès schuf 1902, frei nach Verne und Wells, mit Die Reise zum Mondein Schlüsselwerk des frühen Films, nicht nur tricktechnisch. Das Bild der Landung ist so komisch wie ikonisch. Die Rakete bohrt sich dem Mann im Mond ins Auge. Auch eine Art Absichtserklärung: Die Raumfahrer wollen sich seine Perspektive erobern.

Auf Méliès' Mond schneit es unter anderem, noch im letzten lunaren Stummfilmklassiker kann man dort problemlos atmen: Für Fritz Langs Die Frau im Mond wurde zwar 1929 der Countdown erfunden, aber Bemühungen um größere Glaubwürdigkeit kamen erst später. 1950 sollte George Pals Produktion Destination Moon den amerikanischen Aufbruch zu den Sternen bewerben, im Film tut es dann Woody Woodpecker: Trotz wissenschaftlichen Anspruchs trieb man es im Namen der Unterhaltung bunt (was nicht zuletzt für die Raumanzüge galt).

Im TV griff Star Trek diese Haltung kurz vor der Mondlandung als Enterprise-Ethos auf („Space: the final frontier“), Stanley Kubrick revolutionierte indes im Epos 2001: Odyssee im Weltraum die Darstellung des Allflugs, der detailliert ausgemalt – und zum Bewusstseinstrip verklärt – wurde. Hatte die echte Mondlandung danach überhaupt eine Chance? Jenseits des Jahrhunderteignis-Jubels hinterließ die paradoxe Kombination aus echter Pioniertat und arrangiertem Medienspektakel am 20. Juli 1969 einen zwiespältigen Eindruck: In John Updikes zweitem Rabbit-Roman von 1971 fühlt die Hauptfigur nichts bei TV-Übertragung, Norman Mailer bilanzierte im Bericht vom Apollo-Programm: „Das Jahrhundert ist erledigt.“

Wie Kubrick die Mondlandung drehte

Kein Wunder, dass Verschwörungstheorien sprossen, unterstützt von vermeintlichen Ungereimtheiten in den Mondbildern. War die Landung im Studio gedreht? Der Thriller Unternehmen Capricorn bündelte 1978 die Thesen, allerdings für einen (angeblichen) Marsflug. 2002 dokumentierte William Karel in Kubrick, Nixon und der Mann im Mond gar, wie der Meisterregisseur höchstselbst der NASA beim Schwindel unter die Arme griff. Nur ist Karels Film auch gewitzt geschwindelt, eine Satire über die Manipulierbarkeit der Medien – wie einst bei Poe & Co.

Dagegen gab sich eine Vielzahl von US-Produktionen der letzten 20 Jahre ehrfürchtiger bis patriotisch, vom preisgekrönten Apollo-Zusammenschnitt For All Mankind zur von Tom Hanks mitproduzierten TV-Miniserie „From the Earth to the Moon“. Clint Eastwood ließ 2002 in Space Cowboys gleich greise Astronauten doch noch ins All fliegen: ein Weltraum-Traum, in dem sich Ironie zur Nostalgie gesellt. Am Ende steht das wohl poetischste Bild für die ambivalente Faszination des Mondes: Die Kamera senkt sich auf seine Oberfläche, dort sitzt friedlich der Raumfahrer, der sich – bereits todkrank – für die anderen geopfert hat. Im Visier seines Helms spiegelt sich die Erde. Und Frank Sinatra singt dazu „Fly Me to the Moon“.

Mondlandung im TV

ORF und arte bieten Jubiläumsprogramm. Auf ORF2 ab 0.25Uhr: u.a. originales Nasa-Drehmaterial und der Film „Kubrick, Nixon und der Mann im Mond“. Auf arte ab 21 Uhr, nach „Im Schatten des Mondes“ (über die zwölf Astronauten, die den Mond betraten) läuft z.B. auch Méliès' „Reise zum Mond“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2009)

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