Als wir wieder Ptolemäer wurden

40 Jahre nach der Mondlandung sind die Utopien der Technik in Apokalypsen und Lähmung umgeschlagen.

Gibt es etwas noch Verrückteres, als zum Mond zu fliegen? Heute fällt einem schwer etwas ein, wir haben andere Sorgen, und vor allem haben wir Sorgen. Aber damals stellte sich die Frage nicht – sie wäre selbst für verrückt erklärt worden –, die Augen glänzten, als schemenhaft etwas über die TV-Schirme flimmerte, für das kein Kommentatorenwort zu groß war: der Mensch auf dem Mond.

Natürlich glänzten die Augen nicht überall, in Moskau wurden die Gesichter lang, der kapitalistische Westen hatte den Himmel erobert, darin lag die Symbolkraft des Mondflugs. Die Erde war verteilt, zwischen zwei Blöcken, die im Kalten Krieg und heißen Stellvertreterkriegen an den Grenzen rüttelten, Neuland gab es keines mehr. Auf der Erde. Aber über ihr war Raum, die Sowjets griffen zu, erst mit der Hündin Laika, dann, am 17. April 1961, mit Juri Gagarin, einem leibhaftigen Menschen.

Dem Leibhaftigen. Die USA waren wie vom Donner gerührt. Denn bei allen Differenzen zehrten die Systeme West und Ost vom gleichen Impetus, vom grenzenlosen Glauben an die grenzenlose Macht der Technik, auf ihrem Feld wurde die Schlacht geschlagen. Nun waren die Sowjets vorne, und die USA hatten ihnen vorderhand nichts entgegenzusetzen als einen jungen Präsidenten mit hohen Show-Talenten, John F.Kennedy. Am 25. Mai 1961 holte er zum Gegenschlag aus: „Bevor das Jahrzehnt zu Ende ist“ werde man Menschen zum Mond bringen – das war erst nur Rhetorik, dann setzte sich Geld in Bewegung, dann die Rüstungsindustrie.


Dann die Traumindustrie. Sie zog alle Register, vom Aufbau des Dramas im Ritual der Raketenstarts – den Countdown, das Rückwärtszählen auf den magischen Moment, hat Fritz Lang im Film „Die Frau im Mond“ (1929) erfunden – bis zur Klimax der Landung des „Eagle“, des US-Wappentiers. Die Technik war perfekt (fast), die Inszenierung war es auch (ganz), aber die Spannung ließ sich nicht halten, den zweiten Mondflug nahm man noch zur Kenntnis, der dritte ging in Gähnen unter. Und das, obwohl der Ost-West-Konflikt nur die äußerste Schicht der Motivation war. In der Tiefe wurde man von anderen Mächten getrieben, von der Sehnsucht nach dem Überwinden aller Grenzen, dem Loskommen von der Erdenschwere (und den eigenen Sorgen), dem Erstürmen des Himmels. Nun war er erstürmt: Ja, und?

Der Mond war eine nackerte Kugel, er hatte nichts zu bieten außer einem, dem Blick zurück auf das zerbrechliche Paradies Erde. „Es gibt keine andere Heimat. Am 20. Juli 1969 bin ich wieder Ptolemäer geworden.“ So verdichtete es Friedrich Dürrenmatt. Aber auch alle Mondfahrer – keine Poeten, sondern Kampfpiloten – waren überwältigt, vom blauen Planeten, von der Natur. Nicht von der Technik, die zeigte just auf ihrem Höhepunkt ihre Kraftlosigkeit: Von der Erdenschwere hatte der Mondflug nicht befreit, auch im All konnte man dem Vietnam-Krieg nicht entkommen. Der lehrte, dass selbst die höchstentwickelte (Waffen-)Technik ohnmächtig war gegen einen Gegner, der mit nicht viel mehr kämpfte als mit Entschlossenheit.


Aber es ging tiefer: Die Utopien der Technik, bis dahin ausschließlich positive, schlugen um in Apokalypsen, in denen die „Rache der Natur“ über die Hybris der Menschen triumphiert. Die Stimmung war seit Rachel Carsons „Silent Spring“ vorbereitet – das Buch warnte 1962 davor, dass an der Wunderwaffe der Chemie, dem DDT, die Vögel zugrunde gingen –, nun griff sie um sich, der Blick vom Mond wurde zu einer Ikone der Umweltbewegungen. Und das selbstbewusste Plänemachen wandelte sich in die erzwungene Abwehr der Nebenfolgen früherer Taten.

Zwar blieben die Träume vom Überwinden aller Grenzen, aber nun ging es nicht mehr um Gewaltanstrengungen von Kollektiven und Technik, nun kamen Individuen, die nur auf sich vertrauten und ohne Sauerstoffmasken loszogen: Reinhold Messner ist der Prototyp, viele folgten. Heute reißt das niemanden mehr vom Hocker, wir haben andere Sorgen, vor allem haben wir Sorgen: Der Weltuntergang droht allerorten, nicht nur vom Klima und vom Genmais, selbst ein harmloser Eisenbahntunnel könnte den Semmering zum Einsturz bringen.

Die Wendung des Blicks war bitter nötig, sie brachte aber auch Verzagtheit und Lähmung. Und die haben inzwischen Grade erreicht, in denen ein wenig Verrücktheit befreiend wirken würde. Aber was? Der Flug zum Mars? Der kann mir gestohlen bleiben, andere technische Utopien können es auch. Was dann? Vielleicht der ewige Friede?


juergen.langenbach@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2009)

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