Felber im Wortlaut: "Die Empörung ist auffallend heftig"

Persönliche Stellungnahme zur medialen Aufregung um zwei Abbildungen von mir in Schulbüchern sowie zur Petition von 26 ÖkonomInnen an die Bildungsministerin.

Innerhalb kurzer Zeit führten Artikel auf NZZ.at dazu, dass zwei Abbildungen von mir aus zwei österreichischen Schulbüchern gestrichen werden sollen. Die eine aus einem Lehrbuch für Geografie und Wirtschaftskunde, gegen die 26 österreichische ÖkonomInnen eine Petition an die Bildungsministerin verfasst haben. Die andere aus einem Geschichte-Lehrbuch für die 8. Schulstufe, von der ich gestern erfuhr und die ich noch nicht zu Gesicht bekommen habe – im NZZ.at-Artikel vom September 2015 verspricht die Lektorin des Verlages die Entfernung meines Fotos aus dem Geschichte-Lehrbuch.


Der Einfachheit halber nehme ich hier nur zum aktuellen Fall, im Lehrbuch für Geografie und Wirtschaftskunde, Stellung: Als ich das Bild erstmals sah, musste ich zuerst schmunzeln: Wie bin ich da reingerutscht – ich mache etwas ganz anderes als die dargestellten honorigen Ökonomen.

Ich habe weder Ökonomie studiert, noch strebe ich eine wissenschaftliche Karriere an – ich verstehe Ökonomie sehr viel breiter als die klassischen, neoklassischen und zeitgenössichen Mainstream-ÖkonomInnen. Ich fragte mich: Wieso wurde keine Frau ergänzt? Und gebührt der Platz zwischen Keynes, Marx, Hayek und Friedman nicht Adam Smith? Oder … ?

Zum anderen fiel die Empörung der 26 Aktivismus-ÖkonomInnen, der Initiator spricht gegenüber Medien von einem „Affront für alle (!) österreichischen Wirtschaftsforscher“, auffallend heftig aus: Die Ministerin möge das Buch aus dem Verkehr ziehen. Wegen eines Fehlers! Dieser Fehler muss unverzeihlich sein, sonst würden die Betroffenen nicht nach Zensur (Unterdrückung des gesamten Buches) rufen. Er muss den größten anzunehmenden Schmerzpunkt der Ökonomie getroffen haben.

Begeben wir uns auf die Suche nach diesem Kapital-Fehler.

Die 26 indignierten ÖkonomInnen führen an, dass ich nicht Ökonomie studiert habe und auch keine wirtschaftswissenschaftlichen Publikationen vorzuweisen habe. Das stimmt. Die Frage ist, ob es den Lehrbuch-AutorInnen darum ging.

Zweitens würde die Gemeinwohl-Ökonomie-Theorie nicht den Kriterien der wissenschaftlichen Theorie-Bildung entsprechen – auch das mag zutreffen. Aber erstens ändern sich wissenschaftliche Prämissen und Paradigmen im Lauf der Zeit und zweitens ist die GWÖ international gelebte Praxis!

Der Ökonomie-„Nobelpreisträger“ Eric Maskin ließ sich jedenfalls nicht davon abhalten, das Vorwort zur englischen Ausgabe der Gemeinwohl-Ökonomie zu schreiben.

Drittens führen die Petitoren an, dass ich „vorwiegend als politischer Aktivist auftrete“. Das ist nicht zutreffend. Schon in meiner Attac-Zeit, die ich im April 2014 beendete, habe ich ganz überwiegend Texte geschrieben, Vorträge gehalten, an Diskussionen teilgenommen und einen Lehrauftrag an der Wirtschaftsuniversität Wien wahrgenommen – sowie an weiteren Hochschulen. Zum Beispiel erhielt ich 2013 den Lehrpreis der (gesamten) Universität Graz.

Seitens der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung, aufgrund deren Mitgründung ich im Lehrbuch abgebildet bin, kann ich mich an keine einzige „politische Aktion“ erinnern. Wir arbeiten mit Unternehmen (rund 350 haben eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt, die Hälfte davon extern auditieren lassen), mit Gemeinden (eine der ersten spanischen hat sich nach einer BürgerInnenabstimmung - Wahlbeteiligung 90%, Zustimmung 89,6% - für den Weg zur Gemeinwohl-Gemeinde entschieden); mit Schulen (eine Wiener Handelsakademie hat die Gemeinwohl-Ökonomie in den Lehrplan aufgenommen), Hochschulen (die FH Burgenland hat als erste österr. Hochschule die Gemeinwohl-Bilanz erstellt) und Universitäten (rund 100 Universitäten haben öffentliche Veranstaltungen organisiert, die GWÖ in das Lehrprogramm aufgenommen, sie erstellen gerade die Gemeinwohl-Bilanz oder haben einen UNESCO-Lehrstuhl GWÖ eingereicht, wie die Universität Barcelona).

Ist das Aktionismus? Ich gründe gerade mit vielen anderen eine Bank für Gemeinwohl. Das mag eine (ethische) Innovation sein – aber Aktionismus?

Es stimmt, dass ich politisch arbeite, aus der Zivilgesellschaft heraus. Eine Frucht dieser Arbeit:

Der Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU hat eine 10-seitige Stellungnahme zur Gemeinwohl-Ökonomie verfasst und sie mit 86% der Stimmen angenommen. Der WSA fordert die EU-Kommission auf, die GWÖ in den Rechtsrahmen der EU und ihrer Mitgliedstaaten zu integrieren.

Der vierte Punkt ist vielleicht der entscheidende: Die anderen angeführten Wirtschaftstheoretiker Keynes, Marx, Hayek und Friedman sind große historische (und, wenn wir schon beim Verbessern von Lehrbüchern sind: weiße, westliche, männliche) Ökonomen. Da gehöre ich ganz sicher nicht hin – die Relevanz der 5 Jahre jungen Gemeinwohl-Ökonomie kann nur die Geschichte weisen.

Mein Verbesserungsvorschlag lautet daher: Zum einen eine weitere Kategorie nichtwestlicher, nichtweißer, nichtmännlicher Menschen, die Grundlegendes und Weises über Wirtschaft gesagt haben wie z. B. Vandana Shiva. Sowie, zweitens, eine Rubrik zeitgenössischer ökonomischer Alternativen – hier sähe ich die Gemeinwohl-Ökonomie gerne in einer Aufzählung mit: Sozialer und Solidarischer Ökonomie, Commons, Care Economy, Share Economy, Gift Economy, Blue Economy, Postwachstumsökonomik, Kreislaufökonomie, Transition Town und anderen.

Doch die Empörung zielt nicht in diese Richtung, sondern primär darauf, dass die Gemeinwohl-Ökonomie gestrichen werden soll. Dazu möchte ich abschließende Überlegungen anstellen, die den Schmerz, die Heftigkeit und die unwissenschaftliche Verallgemeinerung („alle“) erklären könnten:

Die Gemeinwohl-Ökonomie legt den Finger auf einen wunden, vielleicht den wundesten Punkt der klassischen, neoklassischen und zeitgenössischen Mainstream-Ökonomie: Dass sie den Sinn und das Ziel der Ökonomie vergessen und die Grundwerte aus den Augen verloren hat. Sie fokussiert auf monetäre Zielindikatoren – BIP, Finanzgewinn und Finanzrendite – obwohl die Verfassungen demokratischer Staaten Geld und Kapital nur als Mittel des Wirtschaftens ansehen und als ihr Ziel das Gemeinwohl ausgeben. Auch die langfristigsten aller DenkerInnen haben Ziel und Mittel stets klar unterschieden. Aristoteles, auf den ich mich beziehe, hat sogar zwei Formen des Wirtschaftens definiert: In der „oikonomia“ ist das Geld das Mittel und das gute Leben/die gerechte Gesellschaft das Ziel: Gemeinwohl-Ökonomie. In der „chrematistike“ ist es genau umgekehrt: Kapitalismus.

Die Gemeinwohl-Ökonomie schlägt vor, den wirtschaftlichen Erfolg am Ziel zu messen: mit dem Gemeinwohl-Produkt (Volkswirtschaft), der Gemeinwohl-Bilanz (Unternehmen) und der Gemeinwohl-Prüfung (Investitionen). Ein solcher Vorschlag kann gar nicht aus der klassischen, neoklassischen oder zeitgenössischen Mainstream-Ökonomie kommen, weil er aus einer ganzheitlichen, transdisziplinären Perspektive kommt, nicht aus einem „disziplinären“ Ausschnitt aus dem Wissensganzen oder des realen Lebens.

Das ist eine so grundlegende Infragestellung der akademischen ökonomischen Wissenschaft an sich, dass sie auf heftige Ablehnung stoßen muss. Ich erinnere in meinen Vorträgen (2015 waren es 131) in bisher 25 Staaten sowohl an die vergessene Herkunft der Wirtschaftswissenschaft: Adam Smith war Moralphilosoph und schrieb ein dickes Werk über Gefühle und Werte, bevor er sein Hauptwerk, den Wohlstand der Nationen, verfasste. Von seiner Ausbildung her war er ein „Liebhaber der Weisheit“. Zu vieles an der heutigen Ökonomie ist das Gegenteil von weise, und das unweiseste, was der Wirtschaftswissenschaft unterlaufen ist, ist die Vertauschung von Mittel und Zweck.

Darauf aufmerksam gemacht zu werden tut weh. Ein Beispiel dazu: Mainstream-ÖkonomInnen und Finanz(ierungs-)ExpertInnen betrachten eine Investition als erfolgreich, wenn sie eine Finanzrendite abwirft. Ist diese zweistellig, erachten sie sie als besonders erfolgreich. Doch sagt uns eine zweistellige Finanzrendite etwas Verlässliches über die Umweltauswirkungen dieser Investition aus? Über ihren Effekt auf den sozialen Zusammenhalt, die Verteilungsgerechtigkeit, das Geschlechterverhältnis, die Demokratie oder die globale Sicherheit? Gar nichts! Es ist möglich, dass eine als hocherfolgreich angesehene Investition die Umwelt zerstört, Beziehungen und Gemeinschaften zerrüttet, die Ungleichheit erhöht, die Demokratie untergräbt und die Sicherheit gefährdet. Genau gleiches gilt für den finanziellen Erfolg eines Unternehmens und Ähnliches für das sakrosankte Bruttoinlandsprodukt. Und welcher Ökonom macht die SchülerInnen auf diese fatalen blinden Flecken der Mainstream-Ökonomie aufmerksam und unterrichtet Alternativen?

Ich werde an Handelsschulen, Handelsakademien und wirtschaftswissenschaftliche Fakultäten in zahlreichen Ländern eingeladen. Häufig frage ich die Studierenden, ob sie wissen, woher der Name „Ökonomie“ stammt. Oft erhalte ich betretenes kollektives Schweigen als Antwort. „Vom griechischen Wort für Markt“, war die einzige Antwort zuletzt an der Utrecht Business School. Doch in der Ökonomie steckt nicht „agora“, sondern „oikos“, das Haus. Welches Haus? Das kleine Haus und das große. Das kleine ist der menschliche Haushalt, in dem die meisten Bedürfnisse nichtmonetär befriedigt werden. Diese Bedürfnisbefriedigungen kommen in der Mainstream-Ökonomie und in der volkswirtschaftlichen Erfolgsmessung nicht vor, obwohl sie für die menschliche Entwicklung und das Wohlbefinden essenziell sind. Auch das größere Haus, der Naturhaushalt, wird grundsätzlich ausgeblendet – als Ergebnis steht die Mainstream-Ökonomie gleichermaßen antwortlos vor einer Klima- und Umweltkrise, vor einer Verteilungs- und Armutskrise, einer Machtkonzentrations- und Demokratiekrise, vor einer Werte- und Sinnkrise.

Ich gehe gerne freiwillig aus der unmittelbaren Nachbarschaft von Keynes und Marx und Friedman und Hayek. Aber eine Gemeinwohl-Ökonomie oder jede andere „postautistische“ Ökonomie, welche die Natur, das Leben, den ganzen Menschen, die Demokratie und die Werte gemeinsam in den Blick nimmt und ihre Theorien und Instrumente darauf aufbaut, sollte ebenso prominent und plural in sämtlichen Wirtschaftslehrbüchern vorkommen wie die Lehrmeister der Vergangenheit.

Christian Felber

Wien, am 8. April 2016

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