Nein, die Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe wird nicht aufgeweicht.
Nein, die Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe wird nicht aufgeweicht. Der Papst sieht sich ja unter Kommunismus- oder Modernismusgeneralverdacht weltfremder, ängstlicher Bremser. Ausdrücklich bezeichnet Franziskus in dem soeben veröffentlichten 300-seitigen Papier „Amoris laetitia“ (Freude der Liebe) Scheidung als Übel. Aber ja, das Lehrschreiben bedeutet einen Wendepunkt in der Moraltheologie.
An Deutlichkeit lässt es Franziskus nicht fehlen, wenn er seine Mitbrüder vor „kalter Schreibtischmoral“ warnt. Und davor, die Barmherzigkeit mit einer Vielzahl von Bedingungen auszuhöhlen. Der Papst brandmarkt dies als „übelste Weise“, das Evangelium zu verwässern. Gleichzeitig betont er die Bedeutung des Gewissens, das die Kirche zwar bilden, nicht aber ersetzen dürfe. Selten war der lange Atem des Zweiten Vatikanischen Konzils spürbarer. Nun dürfen mit päpstlichem Einverständnis Priester tun, was sie verbotenerweise seit Längerem praktizieren: nach Einzelfallprüfung Kommunion auch an jene zu spenden, die zivilrechtlich wieder geheiratet haben. Die katholische Kirche ist also geneigt, sich aus den Schlafzimmern zu verabschieden – und insgesamt von einer Linie der Kasuistik und des Rigorismus. Sie verliert dadurch nicht an Glaubwürdigkeit. Im Gegenteil. Gut möglich, dass sie an Relevanz gewinnt – auch bei Positionen, die dem Mainstream entgegenstehen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2016)