Unbegleitete Minderjährige landen auch hinter Gittern, wie Bilder belegen. Das Land sei in der Flüchtlingskrise nun „völlig überlastet“, sagt eine Unicef-Sprecherin.
Athen/Wien. Der Bub hat die Arme um einen der grauen Gitterstäbe gelegt. Im Hintergrund blickt ein weiteres Kind verdutzt in die Kamera. Ein dritter Bub ist noch in Ansätzen zu erkennen. Alle drei sind hinter Gittern. Die wenige Wochen alten Aufnahmen sollen aus einer Polizeistation in der Bezirksstadt Polykastro im Norden Griechenlands, nahe der mazedonischen Grenze, stammen. Insgesamt acht Kinder im Alter von zwölf bis 17 Jahren seien dort eingesperrt gewesen – sechs Syrer, ein Afghane und ein Marokkaner, sagt der Augenzeuge. „Die Presse“ wird die Bilder zum Schutz der abgelichteten Kinder und der Quelle nicht veröffentlichen.
Der Zeuge beschreibt katastrophale Zustände in dem Gefängnis: Die acht Kinder seien in zwei etwa 14 Quadratmeter große Zellen gesperrt gewesen. Ihre Matratzen lagen nach seinen Angaben auf Betonblöcken. Sanitäranlagen habe es in der Zelle nicht gegeben. Duschen sei den Kindern nur jeden zweiten Tag erlaubt gewesen: „Die hygienischen Zustände waren katastrophal.“ Das Essen sei in die Zellen geliefert worden, „mitunter war aber das Wasser knapp“, weshalb freiwillige Helfer Nachschub gebracht hätten. „Auch die medizinische Versorgung war nicht sichergestellt.“ Eine schriftliche Anfrage der „Presse“ an die griechische Regierung zu den Vorwürfen blieb unbeantwortet.
Die Angaben passen aber ins Bild, das UN-Kinderhilfswerk Unicef hat ganz ähnliche Missstände festgestellt: Demnach haben sich auch Aufnahmelager für Flüchtlinge in De-facto-Haftzentren für unbegleitete Minderjährige verwandelt, sagt Sarah Crowe zur „Presse“. „Aber kein Kind sollte nur wegen seines Migrationsstatus festgenommen werden.“ Die Einrichtungen in Griechenland seien aber auch wegen der Schließung der griechisch-mazedonischen Grenze, also der Westbalkanroute, „völlig überlastet“. Insgesamt sind 22.000 Kinder in Griechenland gestrandet. Zugleich ist auch die Zahl der unbegleiteten Minderjährigen im Land explodiert: Allein von Jänner bis Mitte März kamen 1156 in Griechenland an, dreimal so viele wie im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Und das sind nur die registrierten Kinder: Die Dunkelziffer soll bei etwas mehr als 2000 liegen. Das ist das Dilemma Griechenlands dieser Tage: Der Staat ist dazu verpflichtet, sich um unbegleitete Minderjährige zu kümmern, ohne dafür Kapazitäten zu haben. Und so werden die Kinder für einen „immer längeren Zeitraum“ festgehalten. Mindestens zwei der Buben in der Zelle in Polykastro sagten dem Augenzeugen zufolge, sie seien dort schon zwölf bzw. 19 Tage.
10.000 Kinder verschwunden
Unicef fürchtet nun, dass unbegleitete Minderjährige von den Festnahmen erfahren und bei der Angabe ihres Alters wieder lügen. Schon vor der Schließung der griechisch-mazedonischen Grenze haben sich Kinder als Erwachsene ausgegeben, um sich dann weiter allein entlang der Westbalkanroute durchzuschlagen. Das kann in einer Tragödie enden: Die Kinder laufen Gefahr, in den Fängen von Menschenhändlern zu enden. Nach Europol-Angaben sind mittlerweile bereits 10.000 Flüchtlingskinder in Europa verschwunden. Griechenland hat zum Schutz der unbegleiteten Kinder nun den EU-Deal mit der Türkei aufgeweicht: Am 4. April trat ein Gesetz in Kraft, das die Rückführungen von „verwundbaren Gruppen“ – aufgezählt werden dabei auch unbegleitete Kinder – verhindert. Für jene Kinder hinter Gittern ist das freilich ein schwacher Trost.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2016)