„Irgendwann sagt man zu den Briten Farewell“

Alexander Van der Bellen
Alexander Van der BellenAPA (GEORG HOCHMUTH)
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Die Welt des Alexander Van der Bellen. Der grüne Präsidentschaftskandidat vermisst eine außenpolitische Strategie, will mit allen reden, auch mit Russland, dem Iran und Strache. Die EU sieht er ohne Großbritannien besser aufgestellt.

Sind Sie ein grüner Heinz Fischer? Hätten Sie sich in den vergangenen Wochen außenpolitisch so verhalten wie er?

Alexander Van der Bellen: Ich werde mich weitestgehend so verhalten wie Heinz Fischer. Der Präsident ist aber weder grün noch rot, sondern überparteilich.


Sie wären also wie Fischer mit einer großen Delegation nach Moskau gereist?

Russland ist ein europäisches Land. Ungeachtet der Schwierigkeiten in der Ostukraine muss man im Gespräch bleiben. Da bin ich auf traditionell österreichischer Linie.


Fischer musste sich öfter den Vorwurf gefallen lassen, Menschenrechte nicht deutlich genug anzusprechen.

Die autokratischen Züge in Russland sind unbestreitbar, aber es ist immer die Frage, wie man Kritik äußert: unter vier Augen, im Beisein der Botschafter oder öffentlich. Letzteres kann auch kontraproduktiv sein. Ich orientiere mich an der Ostpolitik Willy Brandts, die anfangs umstritten war. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass diese Politik des Wandels durch Annäherung richtig war. Illusionen über den Charakter der Regime in Moskau und der DDR hatte Brandt sicher nicht.


Außenpolitisch besteht zwischen Ihnen und den Grünen ein Spannungsfeld. Ihre Partei würde Irans Präsidenten, Rohani, nicht empfangen, Sie würden das schon.

Die Einladung bleibt selbstverständlich aufrecht, auch wenn Rohani den Besuch verschoben hat.


Die Grünen fordern auch eine Schließung des von Saudiarabien finanzierten Abdullah-Zentrums für interreligiösen Dialog. Sie haben da eher eine wolkige Haltung.

Wolkig? Neutral, abwartend, würde ich sagen. Das Abdullah-Zentrum ist nun einmal da. Und wenn eine solche Institution etabliert ist, ist es immer noch besser, sie ist in Wien als in Genf.


Warum, weil sich das Abdullah-Zentrum in Wien besser entfalten kann?

Wenn sich wirklich herausstellen sollte, dass das Abdullah-Zentrum nur ein Deckmantel für salafistische Propaganda sein sollte, dann muss man es schließen. Aber das ist meines Wissens nicht der Fall. Ich bin ein Freund von Institutionen, in denen man sich trifft und ohne unmittelbaren Erfolgsdruck miteinander spricht. Gleichzeitig müssen die Demonstrationen gegen krasse Menschenrechtsverletzungen in Saudiarabien natürlich weitergehen. Das würde Fischer vielleicht nicht in dieser Deutlichkeit sagen.


Früher haben Sie das EU/USA-Freihandelsabkommen TTIP differenziert gesehen. Warum lehnen Sie es nun ab?

Das war eine Schlamperei von mir. Ich schrieb in meinem Buch auf einer halben Seite über die Vorteile des Freihandels, hatte aber die Frage des Imports genmanipulierter Lebensmittel aus den Augen verloren.


Sie sind Vizepräsident der österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik . . .

. . . das war eine schmeichelhafte Einladung von Wolfgang Schüssel.


Wie ist Ihr Verhältnis zu Schüssel?

Erstaunlich gut. Schüssel hat eine volatile Karriere hinter sich. Das finde ich schon einmal interessant. Als Wirtschaftsminister hat er mich seinerzeit überhaupt nicht beeindruckt. Die Geschichte des Jahres 2000 (Schwarz-Blau, Anm.) war eine sehr raffinierte. Aber da braucht es zwei dazu, auch einen, der das verschlampt – das war die SPÖ. Ich war mit den meisten Maßnahmen Schüssels überhaupt nicht einverstanden, aber er wollte wenigstens etwas. Und es war ihm völlig wurscht, was die „Kronen Zeitung“ schreibt. Politiker müssen autonom bleiben, dem Volk aufs Maul schauen, nicht nach dem Maul reden. Das hat mir an Schüssel gefallen.


Ist es für Sie wichtig, was die „Kronen Zeitung“ schreibt?

Ich will Bundespräsident werden und brauche jede Unterstützung, auch die Ihre.

Ein unmoralisches Angebot. Was missfällt Ihnen an Österreichs Außenpolitik?

Ich hätte mir gewünscht, dass der Außenminister weniger auf dem Balkan unterwegs ist, sondern in den Hauptstädten der Union. Es geht um mehr als um das akute Flüchtlingsdrama. Es geht um den Zusammenhalt der EU. Wenn jede Solidarität aufgekündigt wird, dann steht sie vor dem Zerfall. Und das kann nicht im Interesse Österreichs sein.


Was haben Sie vor?

Auch ein Bundespräsident kann in die Niederlande reisen (die Niederländer stimmten in einem Referendum gegen das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, Anm.) und sagen: „Leute, was geht hier vor? Ihr gehört zu den EU-Gründungsmitgliedern.“


Wäre eine solche Einmischung nicht kontraproduktiv?

Aber kann man dem zuschauen?


Sie wollen Vereinigte Staaten von Europa.

Das ist eine Chiffre für eine bessere Handlungsfähigkeit der Union.


Wie wollen Sie die EU beschlussfähiger machen?

Ich habe den Glauben an eine zunehmende Staatlichkeit der Union nicht aufgegeben. Ich will eine immer engere Union. Das jetzige Prinzip der Einstimmigkeit im Europäischen Rat ist manchmal des Teufels. Wie würde Österreich aussehen, wenn es von den neun Landeshauptleuten regiert würde?


Das passiert ja jetzt schon.

Nein, nein, wir haben schon eine starke Bundesebene.


Wenn Sie die Einstimmigkeit kippen wollen, wäre eine Vertragsänderung nötig. Referenden gingen zuletzt nicht gut für die EU aus.

Man muss sich als Politiker manchmal auch bemühen, Zustimmung zu etwas zu erreichen, wofür im Moment keine Mehrheit da ist. Wofür braucht man sonst Politiker?


Die Briten werden die Einstimmigkeit sicher nicht aufgeben. Ließe sich Ihre Vision der EU besser ohne Großbritannien durchsetzen?

Es tut weh, denn ich halte mich für anglophil, aber irgendwann sagt man: „You don't want it, farewell.“


Sie denken also, dass die EU ohne Großbritannien zukunftsfester wäre.

Der Schaden ist schon eingetreten. Die EU hat dem Vereinigten Königreich neue Rechte eingeräumt, um es bei der Stange zu halten. Das war keine kluge Idee. Denn es werden jetzt auch alle anderen kommen.


In welchen Ländern würden Sie stärkere Akzente setzen?

Wenn ich Präsident wäre, würde ich mich mit dem Außen-, Wirtschafts- und Finanzministerium zusammensetzen und fragen, wo Österreich Prioritäten setzen sollte.


Also noch keine fixen Vorstellungen?

Nein. Aber es würde sich lohnen, auf den boomenden Kontinent Afrika zu schauen.


Erkennen Sie eine Strategie in Österreichs gegenwärtiger Außenpolitik?

Die Regierung versucht momentan eine Eindämmung der Flüchtlingsbewegung. Aber was Österreichs Rolle in der Union betrifft, sehe ich im Moment keine Strategie.


Hätten Sie Ideen dafür?

Ich würde unermüdlich darauf hinweisen, dass ein kleines offenes Land auf Exporte angewiesen ist und offene Grenzen braucht.


Ist Österreich nicht weltoffen genug?

Österreich ist ungeachtet aller Bemühungen der FPÖ ein weltoffenes Land. Was in den vergangenen 150 Jahren an Integration gelungen ist, sieht man nicht oft in der Welt.


Im Moment ist die Integrationsleistung fragwürdig, wenn man von Ghettoklassen in Wiener Schulen hört, in denen Kinder weder Lesen noch Schreiben ausreichend lernen. Das sieht eher wie ein Konzept für ein gesellschaftliches Desaster aus.

Wir haben Hunderttausende Mitbürger aus der Türkei oder Bosnien mittlerweile ganz gut integriert. Okay, nicht alle sind Weltmeister im Rechtschreiben. Na und? Aber es stimmt, wir haben auch viel versäumt.


Sie sind bei der „Es wird schon werden“-Fraktion.

Es wird nicht von allein werden. Dazu gehört, dass Geld für türkisch- oder arabischsprachige Begleitlehrer zur Verfügung gestellt wird.


Was sagt Donald Trumps Aufstieg über den Zustand der westlichen Demokratie?

Dass jemand, der so unverantwortlich daherredet wie Trump, ernsthafte Chancen haben kann, Nachfolger von Barack Obama zu werden, ist ein Horrorszenario ersten Ranges. Wir reden hier nicht von Weißrussland, sondern von den USA.


Sehen Sie, dass auch in Österreich das Schwarz-Weiß-Denken zunimmt, obwohl die Welt komplexer wird?

Ich bin optimistisch, auch der Bundespräsident kann sein Scherflein beitragen. Meine Tür in der Hofburg stünde auch für Strache jederzeit offen.


Für ein pädagogisches Gespräch?

Da bin ich klassischer Österreicher. Das Reden kann nie schaden.

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