Heimat: Nicht nur eine seelische Plombe

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Migranten und Flüchtlinge bewirken in Deutschland eine breite Suche nach Heimatgefühl. Über Wandern und Briefe ans "liebe Vaterland", das nicht so Nationale am Wort "Heimat" und den lange nicht akzeptierten Plural.

Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl“, sang Herbert Grönemeyer. Dieses Gefühl – beziehungsweise der Wunsch danach – scheint in Deutschland wieder etwas aufzuleben. Nicht nur die Protestbewegung Pegida und die Partei Alternative für Deutschland (AfD) sowie deren Anhänger bescheren dem Heimatbegriff eine Hochkonjunktur. Auch wenn manche den Begriff am liebsten verbieten würden: Heimat– was das ist und wie man es findet – ist auch fern vom weit rechten politischen Lager zum Thema geworden.

Früher ließ man Schüler Briefe an das „liebe Vaterland“ schreiben. Ein wenig erinnern die bereits 2015 erschienenen „100 Briefe an Deutschland“ daran. Junge und Alte haben sie verfasst, Neuankömmlinge und Immer-Dagewesene, Christen, Juden, Atheisten, Muslime. „Liebes Deutschland“, heißt es da in einem fort, da und dort auch „Geliebtes Deutschland“; trotz viel Kritik dominiert ein – ja – liebevoller Ton; freilich nicht unterwürfig-ehrerbietig, wie früher sogar Erwachsene das personifizierte Vaterland anredeten, eher so vertraulich und ungeniert, als wäre Deutschland eine liebe WG-Mitbewohnerin oder ein Schulfreund.

„Wieso Heimat, ich wohne zur Miete“

Peinlich? Das ist eine Geschmacksfrage. Bezeichnend ist es auf jeden Fall, in einer Zeit, in der wohl nur wenige das „vielgeliebte Österreich“ der Bundeshymne ironiefrei über die Lippen bringen. Das Wort Heimat klinge nur harmlos, es kann nicht „progressiv besetzt werden, seine Funktionsweise ist die der Ausgrenzung“: So gab kürzlich die linke deutsche „Taz“ die politisch korrekte Marschrichtung vor und zitierte den Psychoanalytiker Paul Parin. Dieser nannte einst das Heimatgefühl eine „seelische Plombe“, eine Krücke für Leute mit unterentwickeltem Selbstgefühl.

Was tun aber mit denen, die sich ihre Krücke nicht wegtherapieren lassen wollen? Zu ihnen gehören viele Migranten der zweiten Generation. Als Autoren erzählen immer mehr von ihnen Heimatsuche als Selbstfindungsversuch, ein eigenes literarisches Genre hat sich so gebildet. Im neuen Roman „Wieso Heimat, ich wohne zur Miete“ etwa schildert der 45-jährige Selim Özdogan, gebürtiger Kölner mit türkischen Eltern, die Reise eines in Deutschland Aufgewachsenen zu seinen türkischen Wurzeln. Auch der Heimatverlust der Flüchtlinge und ihre Fremdheit in Deutschland verstärken offenbar die Heimatsuche der Alteingesessenen.

Sehnsucht nach räumlicher Zugehörigkeit und Gemeinschaft an einem bestimmten Ort stirbt eben nicht ganz aus, zumal in unsicheren Zeiten, das globale Dorf ist nie eins geworden. Auch wenn Heimat lang nicht mehr so räumlich empfunden wird wie früher, seit kulturelle Eigenheiten nicht mehr auf einen Ort oder eine Region beschränkt sind, seit man mit Verwandten und Freunden auch aus der Ferne kommunizieren oder sie am anderen Ende der Welt besuchen kann. Vorbei sind die Zeiten, als ins Ausland geschickte Schweizer Soldaten buchstäblich erkrankten; durch Ärzte, die darüber schrieben, kam der Schweizer Dialektbegriff „Heimweh“ ins Hochdeutsche, und mit ihm das Wort „Nostalgie“, ein Arzt nannte die neu entdeckte potenziell tödliche „Krankheit“ so. Auch würde kein Wissenschaftler aus Angst vor Tod durch Heimweh seinen ausländischen Lehrstuhl aufgeben, wie der Mediziner und Botaniker Albrecht von Haller im 18. Jahrhundert.

Heimat hat also nicht mehr so viel mit Orten zu tun – aber immer noch einiges; mit Orten, nicht unbedingt mit dem eigenen Staat. Bei aller ideologischen Belastung im 20.Jahrhundert hat das Wort Heimat keine national(-istisch-)ere Tradition als vergleichbare Wörter anderer europäischer Länder, im Gegenteil. Frankreich etwa, wo die Bindung an die Nation viel früher stattfand als im deutschen Kleinstaaten-Fleckerlteppich, kennt nur das Wort „patrie“, das einen viel stärkeren Bezug zur Nation ausdrückt.

Das Wort Heimat hingegen meinte zunächst die unmittelbare Umgebung, in der man geboren wurde und aufwuchs (in Bayern auch nur das Elternhaus). Wandererbilder der Romantik wecken heute Vorstellungen vom Wandern durch die Heimat. In Wahrheit begann die Fremde vor zwei Jahrhunderten wenige Kilometer vor der eigenen Haustür – auch deshalb wurde der Wanderer den Romantikern zum Symbol der (seelischen, metaphysischen) Heimatlosigkeit. Erst allmählich kam die heute noch gepflegte Vorstellung auf, sich die eigene, nun als größer empfundene und sehr mit Naturlandschaft verknüpfte Heimat zu erwandern.

Dieser Tradition folgt der deutsche Publizist und Journalist Jörn Klare, der im Buch „Nach Hause gehen. Eine Heimatsuche“ seine über 600 Kilometer lange Wanderung quer durch Deutschland bis zu seinem Geburtsort Hohenlimburg beschreibt; denn ihn, den langjährigen Globetrotter, hat in Berlin die Frage umzutreiben begonnen, was (seine) Heimat ist. Allen, die ihn nach dem Grund seiner Tour fragen, sagt er: „Wegen der Heimat.“ Heimat, merkt er, ist nicht zuletzt eine Frage der gemeinsamen Erfahrungen: Ost- und Westdeutsche haben „sozusagen nie zusammen ,Bonanza‘ geschaut“.

Das intellektuellere Pendant zu Klares Reportage ist das fabelhafte Buch „Am Anfang war Heimat. Auf den Spuren eines deutschen Gefühls“ des Schriftstellers und einstigen „FAZ“-Feuilletonredakteurs Eberhard Rathgeb. Die Jahre zwischen 1933 und 1945 haben eine Kluft zwischen seinem Vater und ihm, dem Nachgeborenen geschaffen, nun versucht er, das selbstverständliche Zugehörigkeitsgefühl seines Vaters zu Deutschland zu ergründen, die vielen „Geländer“ aus Beziehungen, Landschaft, Büchern, kulturellen Eigenheiten, die Halt boten. Rathgeb rekapituliert dabei auch – gebührend kritisch – die Geschichte des Nachdenkens über Heimat in Deutschland.

Die Angst, verloren zu gehen

„Der tiefe Grund des Heimatgefühls ist die Angst, in einer unheimlichen Welt verloren zu gehen“, schreibt er, „eine Stimmung, dass innen und außen, Ich und Welt zusammenpassen.“ Auch die Definitionen, die Jörn Klare auf seiner Wanderung bei den Menschen eingesammelt hat, kreisen um Vertrautheit, Aufgehobensein, entspannte Selbstverständlichkeit. Rathgebs Buch endet mit der Aufforderung, „die eigene Heimat offener, poröser, lichter und für andere heimischer“ zu machen. Und erzählt von Flüchtlingen, die in einem deutschen Dorf einige Bewohner eingeladen hatten. An diesem schönen Abend seien „aus den Bittstellern die anerkannten Bewohner eines Hauses“ geworden.

Geht es um sie, die Flüchtlinge, werden übrigens auch Verächter des Wortes Heimat inkonsequent. Ganz selbstverständlich schreibt auch die „Taz“, dass diese Menschen ihre Heimat verloren haben und eine neue brauchen. Ganz schön viel Heimatgerede also, allerorten. Zum Glück hat der Duden, nachdem er lange den Plural „Heimaten“ als „unüblich“ kennzeichnete, diesen in seiner aktuellen Auflage endlich akzeptiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2016)

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