Chinas Frauen: Ab 27 schon alte Jungfern

Eine Braut posiert für ihr Hochzeitsfoto.
Eine Braut posiert für ihr Hochzeitsfoto.APA/AFP/JOHANNES EISELE
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Chinas "übrig gebliebene Frauen" haben Ende 20 kaum mehr Chancen auf dem Heiratsmarkt. Vor allem gebildete, erfolgreiche Städterinnen leiden unter dem sozialen und familiären Druck.

Angel sitzt in einer schicken Bar im Finanzzentrums Shanghais und nippt an ihrem Drink. Die 25-Jährige hat studiert, seit Kurzem arbeitet sie in einer Bank. Die kunstvollen Häppchen vor ihr rührt sie nicht an. Sie müsse um spätestens neun Uhr zu Hause sein, meint die zierliche Chinesin. Ihre Mutter habe Suppe gekocht. Die solle sie täglich essen, um gesund und schön zu bleiben. Außerdem müsse sie auf ihre Figur achten. Die Uhr ticke. Noch zwei Jahre blieben ihr, um einen Partner zu suchen und zu heiraten – dann sei sie zu alt.

Alleinstehende Frauen haben in China ab 27 Jahren kaum mehr Chancen auf dem Heiratsmarkt. „Shengnü“ werden sie genannt, „übrig gebliebene Frauen“. Ausgerechnet die „All China Women's Federation“, eine 1949 gegründete staatliche Frauenrechtsorganisation, rief den Begriff 2007 ins Leben. Mit einem emotionalen Werbespot hat eine Kosmetikfirma die Diskussion wieder aufleben lassen. In dem vierminütigen Video berichten Betroffene über den großen sozialen und familiären Druck, der auf ihnen lastet. „Chinesen glauben, dass eine unverheiratete Frau unvollständig ist“, erzählt eine Frau. „In China ist es eine der wichtigsten Qualitäten, Eltern zu respektieren. Nicht zu heiraten ist das größte Zeichen von Geringschätzung“, sagt eine andere.

Heirat ist Familiensache

Auch Eltern kommen zu Wort: „Wir fanden immer, dass unsere Tochter eine tolle Persönlichkeit hat. Aber sie sieht durchschnittlich aus, ist nicht sehr hübsch. Deswegen ist sie übrig geblieben“, sagt eine Mutter, während ihre Tochter mit den Tränen kämpft. Um ihre Sprösslinge unter die Haube zu bringen, scheuen Familien keine Mühen. In Ganz China feilschen Eltern auf Heiratsmärkten um gute Partien für ihre Kinder. Der wohl berühmteste findet jedes Wochenende im Zentrum Shanghais statt: Alter, Größe, Einkommen und Ausbildung Hunderter, vor allem weiblicher, Singles sind hier zwischen Bäumen und Sträuchern plakatiert.

Sieben Millionen unverheirateter Frauen zwischen 25 und 34 Jahren leben laut einer Studie der Qinghua Universität in Chinas Städten. Und das ausgerechnet in einem Land mit Frauenmangel: Männer haben in der chinesischen Gesellschaft traditionell einen höheren Stellenwert. Aufgrund der jahrzehntelangen, im Vorjahr gelockerten Ein-Kind-Politik entschieden sich viele Eltern, weibliche Föten abzutreiben. Besonders prekär ist die Lage auf dem Land: Hier kommen teilweise 180 männliche Singles über 15 Jahre auf 100 unverheiratete Frauen. In Großstädten wie Shanghai ist das Verhältnis mit 123 zu 100 ausgeglichener.

Dennoch bleibt die Partnerfindung schwer. Chinesen tendieren „hinunter“ zu heiraten. Damit trifft es vor allem gebildete, erfolgreiche Städterinnen – angeblich bleiben sieben Prozent aller Universitätsabsolventinnen bis zum 45. Lebensjahr alleine. Sie wollen sich nicht zu früh binden und ihre Karriere für das Hausfrauendasein opfern. Andererseits sind ihre Ansprüche hoch: Gebildet soll der Zukünftige sein, viel Geld, ein Auto und eine Wohnung soll er haben.

Powerfrauen auf Vormarsch

„Shengnü“ seien jedoch nicht nur ein kulturelles Phänomen, sagte Leta Hong Fincher, Autorin des Buches „Leftover Women“, kürzlich einer Hongkonger Zeitung. Mit der Diskussion wolle die Regierung gebildete Frauen gezielt dazu drängen, früher zu heiraten und Kinder zu bekommen: Damit wolle sie die sogenannte „niedrige Qualität“ der Bevölkerung bekämpfen.“ Zudem sehe Peking die mehr als 30 Millionen männlichen Singles im Land als Bedrohung für Chinas Stabilität an. Immer mehr Städterinnen aber entscheiden sich dem sozialen Druck zu trotzen. „Im Gegensatz zu übrig gebliebenen Frauen habe ich eine Karriere“, sagt eine Betroffene im Werbespot. „Auch dafür gibt es einen Begriff: Powerfrau.“

("Presse"-Printausgabe, 12.4.2016)

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