Griechenlands Geduld mit Mazedonien neigt sich dem Ende zu

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GREECE-MACEDONIA-EUROPE-MIGRANTS(c) APA/AFP/BULENT KILIC (BULENT KILIC)
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Die Proteste in Idomeni halten an. Bisher hat sich Athen mit Kritik am Nachbarn zurückgehalten. Nach den Krawallen von Sonntag verschärft sich aber der Ton.

Athen/Idomeni. Einen Tag nach den schweren Zusammenstößen zwischen mazedonischen Polizisten und Flüchtlingen im improvisierten Lager in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze blieb die Lage explosiv: Am Montag versammelten sich Dutzende Flüchtlinge und Migranten vor dem Grenzzaun und verlangten, nach Mazedonien hineingelassen zu werden, um ihre Reise nach Nordeuropa fortsetzen zu können. Wie schon am Vortag setzte die mazedonische Polizei Tränengas ein. Die Demonstranten blockierten auf griechischer Seite die Bahngleise.

„Ärzte ohne Grenzen“ bezifferte die Zahl der Verletzten bei den Krawallen von Sonntag auf 300, demnach litten 200 davon an Atembeschwerden, auch Frauen und Kinder. Tränengasgranaten waren direkt im Flüchtlingslager eingeschlagen. Einige der Menschen wurden auch durch Gummigeschosse verletzt.

Die griechische Regierung reagierte am Montag heftig auf die Krawalle. Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos griff das Nachbarland Mazedonien mit scharfen Worten wegen des unverhältnismäßigen Einsatzes von Gewalt an. Wer ein solches Verhalten an den Tag lege, habe „keinen Platz in der EU und in der Nato“, meinte Pavlopoulos. Ministerpräsident Alexis Tsipras sprach von einer mazedonischen „Provokation“, machte aber auch Gruppen von europäischen Aktivisten für die Eskalation verantwortlich: Berichten zufolge hatten anonyme Flugblätter in arabischer Sprache zum Sturm auf den Grenzzaun aufgerufen.

Opposition kritisiert „Untätigkeit“

Das sieht die griechische Opposition, allen voran die konservative Nea Dimokratia, ganz anders: Für sie ist vor allem die Passivität der Regierung der Hauptgrund für die Probleme. Immer schärfer kritisieren die Sprecher der Partei die „Untätigkeit des Staates“. So entstehe ein rechtsfreier Raum an der Grenze, was die Gefahr einer „Explosion“ in sich berge.

Bürgerschutzminister Nikos Toskas dagegen verteidigte die Zurückhaltung der griechischen Polizei. Athen habe auf die Verbreitung der Flugblätter reagiert und mit einem massiven Polizeiaufgebot verhindert, dass noch viel mehr Flüchtlinge in das Niemandsland vor dem Grenzzaun vorgerückt seien. „Lediglich 1000 bis 2000“ von ihnen sei es gelungen, die Polizei zu umgehen und zum Zaun vorzustoßen. Toskas ist nach wie vor überzeugt davon, dass eine gewaltsame Räumung von Idomeni mit seinen etwa 12.000 Bewohnern kontraproduktiv wäre. Die Flüchtlinge, die am Sonntag verletzt wurden, seien „potenzielle Jihadisten“. Andererseits habe die Regierung nicht viel getan, um die Lage in Idomeni in den Griff zu bekommen.

Angespannte Beziehungen

Die innenpolitische Diskussion dreht sich in diesem Zusammenhang auch um zwei weitere Themen: Die wegen der Grenzschließung angespannten Beziehungen zu Mazedonien und das Wiedererstarkung rechtsextremer Formationen wie der Partei „Goldene Morgenröte“.

In den griechischen TV-Sendern wurde breit darüber diskutiert, ob mazedonische Soldaten am Sonntag die Grenze überschritten hatten – und ob es sich die griechische Polizei bieten lassen könne, dass der nördliche Nachbar Tränengas und Gummigeschosse auf griechischem Territorium einsetze.

Bisher hat die Regierung in Athen keine übertrieben scharfen Töne gegen den Nachbarstaat angestimmt. Für die Grenzschließung werden andere Staaten verantwortlich gemacht – allen voran Österreich.

So nahm man es auch hin, dass Mazedonien nach den letzten Krawallen vor einem Monat Flüchtlinge informell über die Grenze zurückbrachte. Auch damals hatten Hunderte versucht, die Grenze zu überwinden.

Doch das Statement von Präsident Pavlopoulos weist darauf hin, dass sich die Geduld Griechenlands dem Ende zuneigt. Angesichts der gespannten Lage an der Grenze scheint über kurz oder lang ein bilateraler Grenzzwischenfall immer wahrscheinlicher. Und das ist das letzte, was man sich in dieser sensiblen Region wünscht.

Die rechtsextreme Parlamentspartei „Goldene Morgenröte“ erfährt im Fahrwasser der Flüchtlingskrise jedenfalls wieder einen Auftrieb. Am Donnerstag war die Partei an den Krawallen im Hafen von Chios beteiligt, am Freitag lieferten sich ihre Anhänger mit linken Gruppen Schlägereien in Piräus, unweit des provisorischen Flüchtlingslagers im Hafen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2016)

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