Ein Volksbildner stößt an Grenzen

Jan B�hmermann
Jan B�hmermann(c) imago/Future Image (imago stock&people)
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Jan Böhmermanns Scherze wirken oft erst auf der Metaebene. Doch sein Erdoğan-Schmähgedicht scheint nicht wie bisherige Coups aufzugehen.

Der Autor wollte die Menschen zum Nachdenken anregen. Das sagen Schüler gern, wenn sie ein Buch interpretieren müssen – und die eigentliche Motivation dahinter nicht verstanden haben. Es wäre also billig, Jan Böhmermann genau das zu unterstellen. Wenn er aber etwas geschafft hat, dann das: Deutschland denkt nach. Vor allem über sein Erdoğan-Schmähgedicht. Seit Tagen wird heftig debattiert, wie weit Satire gehen darf – und was sie eigentlich sein soll. Lustig sollte sie sein, zum Beispiel. Das ist das Gedicht über den türkischen Präsidenten nicht. Zumindest nicht für Menschen, deren Verständnis von Humor über gereimte Fäkalausdrücke hinausgeht.

Doch genau dort bewegte sich der deutsche Humor in den vergangenen Jahren. Die billige Pointe war wichtiger als die Botschaft. Das aufzuzeigen könnte eine Motivation Böhmermanns gewesen sein. Doch hier betritt man die Metaebene. Dort wirkt der Satiriker wie der Volksbildner, der im Scherz unangenehme Wahrheiten verkündet. Eine davon könnte auch sein, wie ein veralteter Paragraf, der noch auf der Majestätsbeleidigung aufbaut, das monarchische Selbstverständnis eines ausländischen Staatsoberhaupts offenlegt. Und die nächste dann die, dass die versammelten Sprecher einer Bundesregierung nicht mehr können, als ihre Ratlosigkeit in unverbindliche Worte zu verpacken, dass man alles genau prüfen werde.

Genau das wird Jan Böhmermann zugeschrieben. Dass er mit seinen Scherzen auf der Metaebene Dinge aufzeigt. Mit #Varoufake zum Beispiel, als er im März 2015 vorgab, sein Sendungsteam hätte den Stinkefinger in ein Video des damaligen griechischen Finanzministers, Yanis Varoufakis, montiert. Medien und Öffentlichkeit rätselten tagelang, ob das nun Ernst oder Spaß war. Mit der Aktion, für die er mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde, hatte er demonstriert, wie leicht es ist, mit einer simplen Manipulation Menschen zum Narren zu halten. Etwas, das tagtäglich im Internet passiert.

Viele sehen in ihm den legitimen Erben von Harald Schmidt, der in seinen bissigen und politisch unkorrekten Scherzen Aufklärung verpackte. Böhmermann, der von 2011 bis 2014 selbst im Team der Show war, hat einiges davon übernommen und seine Gesellschafts- und Medienkritik in ein neues Gewand gesteckt. Wobei seine Scherze nicht immer gut sind. Doch mittlerweile sind sie damit aufgeladen, dass dahinter ja in Wirklichkeit etwas ganz anderes stecken muss. Auf irgendeiner Ebene wird sich schon etwas finden. Es ist ein Spiel, das er mittlerweile beherrscht und auch pflegt. „Ist man ein #Boehmermann, ist es Kunst, ist man Rapper, landet es auf dem Index. Fickt Euch, Ihr Feuilleton Lutscher“, twitterte der Rapper Bushido zu Böhmermanns Erdoğan-Gedicht – und der retweetete es kommentarlos. Sollen sich doch die anderen Gedanken machen.

Nächste Sendung abgesagt

Es gehört zu Böhmermanns Stil, die Deutungshoheit über seine Scherze der Öffentlichkeit zu überlassen, vielleicht noch gespickt mit einer Wortmeldung auf Facebook oder Twitter. In den jüngsten Tagen ist er allerdings, abgesehen von einigen unkommentierten Retweets, erstaunlich ruhig geworden. Es scheint, als wäre ihm die Regie über seine Inszenierung entglitten. Er geht nun auf Tauchstation, sagte seine Teilnahme an der Verleihung des Grimme-Preises ab, verweigerte sich Interviews – und am Dienstagnachmittag wurde schließlich sogar die Absage der nächsten Ausgabe seines „Neo Magazin Royale“ verkündet. „Massiver öffentlicher Druck“ wurde vom ZDF als Grund dafür angeführt. Böhmermann steht zudem unter besonderem Schutz der Kölner Polizei, wie „Die Welt“ in ihrem eigens eingerichteten Liveticker berichtete. Und die für ihre Falschberichte bekannte Satireseite „Der Postillon“ brachte eine Nachricht, dass Böhmermann und Erdoğan die Aufregung gemeinsam inszeniert hätten. Es ist eine Auflösung, die man auch Böhmermann zugetraut hätte. Doch diesmal sieht es danach aus, als wäre der Volksbildner an eine Grenze gestoßen.

ZUR PERSON

Jan Böhmermann (35) ist unter anderem Moderator der satirischen TV-Sendung „Neo Magazin Royale“ im ZDF. Dafür wurde er bereits zwei Mal mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet.
[ Thomas Rabsch/Laif/picturedesk.com ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2016)

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