Das Schließen der Balkan-Route ist in Italien deutlich spürbar: Die Menschen wählen andere Routen. In Idomeni geht die Polizei mit Tränengas gegen Flüchtlinge vor.
Nach der Schließung der Balkanroute wagen sich offenbar immer mehr Flüchtlinge auf den gefährlichen Seeweg von Nordafrika nach Italien. Seit Anfang 2016 hat sich die Zahl der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer in Süditalien eintreffen, mehr als verdoppelt. Seit Jahresbeginn wurden 24.000 Migranten verzeichnet, im Vergleichszeitraum 2015 waren es circa 12.000, so das Innenministerium am Mittwoch.
Am Montag und Dienstag seien mehr als 4.000 Flüchtlinge von Booten im Mittelmeer zwischen Nordafrika und Sizilien aufgegriffen worden, teilte die italienische Küstenwache mit. Allein am Dienstag habe es 17 Rettungseinsätze gegeben.
Die Zahl er aus der Türkei über die Balkanroute nach Europa gekommenen Flüchtlinge ist hingegen stark zurückgegangen. So seien im April nur mehr 1000 Migranten über diese Route gekommen, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Mittwoch im EU-Parlament in Straßburg. Im Gegensatz zu den Flüchtlingen auf der Balkanroute seien die, die in Italien ankämen, keine Syrer, sondern Menschen aus Nigeria, Somalia, Gambia, Guinea und der Elfenbeinküste. "Wenn wir die Westbalkanroute nicht geschlossen hätten, hätten wir drei- bis fünfmal mehr Migranten", sagte Tusk.
NGO warnen vor "riesigem Flüchtlingslager" am Brenner
EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos mahnte zur Eile beim Aufbau der EU-Grenz- und Küstenwache. Die EU habe keine Zeit zu verlieren, "der Sommer steht vor der Tür". Die aktuelle Instabilität in Libyen spiele den Schleppern in die Hände. Allerdings müsse Europa weiter Flüchtlinge aufnehmen, die Ansiedlung anerkannter Flüchtlinge über "Resettlement" sei dazu der richtige Weg. "Es geht nicht, dass wir eine Festung Europa aufbauen. Die Menschen werden weiter fliehen."
Indessen hagelt es wegen des Baus neuer Grenzposten am Brenner Kritik an Österreich. Der italienische Innenminister Angelino Alfano warf der Regierung "Unvernunft" vorgeworfen. "Wenn wir in Europa sicherer sein wollen, müssen wir enger zusammenarbeiten, Informationen austauschen und nicht streiten", sagte Alfano in einem Interview mit dem TV-Sender Sky am Mittwoch.
"Die Zahlen sind deutlich: Es sind mehr Flüchtlinge von Österreich nach Italien eingewandert, als umgekehrt", sagte Alfano. Österreich dürfe die "Regeln der Vernunft" nicht missachten, denn die Schäden für die Wirtschaft wären enorm, ohne dass es weder in punkto öffentliche Sicherheit noch in der Bewältigung der Flüchtlingskrise zu Vorteilen komme.
NGO warnen vor "riesigem Flüchtlingslager" am Brenner
Auch Ärzte ohne Grenzen warnte vor den möglichen Auswirkungen einer Schließung der Brenner-Grenze. "Die Gefahr ist, dass Italien und Griechenland zu einem riesigen Flüchtlingslager werden. Europa kann nicht Italien, Griechenland und der Türkei die ganze Verantwortung für den Umgang mit der Flüchtlingskrise überlassen", sagte Loris De Filippi, Präsident von Ärzte ohne Grenzen in Italien.
Amnesty International sprach von einer "akuten humanitären Krise", sollte die Brenner-Grenze geschlossen werden. Angesichts einer "Mauer" am Brenner könnte auf der italienischen Seite der Grenze eine Situation, wie jene in Griechenland, auf den griechischen Inseln und an der Grenze zu Mazedonien entstehen. Es könnte zu Behelfssiedlungen und zu einer akuten humanitären Krise wie am Balkan kommen", sagte der Generaldirektor von Amnesty International in Italien, Gianni Rufini.
Hunderte versuchen Grenzzaun-Stürmung
Erst am Mittwoch kam es an der mazedonischen-griechischen Grenze erneut zu einer Auseinandersetzung zwischen Flüchtlingen und der Polizei. Etwa hundert Flüchtlinge zerrten an den Stacheldrahtbarrieren und versuchten, den Zaun zu überwinden. Daraufhin schleuderten mazedonische Polizisten Tränengas- und Blendgranaten über den Zaun, wie das griechische Fernsehen zeigte.
Am Sonntag waren Hunderte Flüchtlinge bei Zusammenstößen mit der mazedonischen Polizei verletzt worden. Auch am Wochenende hatte die Polizei Tränengas und zudem Gummigeschosse gegen die Migranten eingesetzt, die versucht hatten, die Grenze zu überwinden.
Im Flüchtlingslager Idomeni in Griechenland harren seit Februar mehr als 10.000 Menschen aus, obwohl seit Wochen niemand mehr auf dieser Route nach Mazedonien und damit weiter nach Europa hineingelassen wurde. Die Regierung in Athen versucht, die Flüchtlinge zu überreden, in besser ausgestattete Aufnahmelager umzusiedeln, bislang jedoch mit wenig Erfolg.
(APA)