In der provisorischen Zeltstadt Idomeni kam es erneut zu Zusammenstößen zwischen Flüchtlingen und der mazedonischen Polizei. Nun hat auch Athen Polizisten an die Grenze geschickt.
Idomeni. Steine, Tränengas und Schreckgranaten – die Zusammenstöße zwischen Flüchtlingen und Migranten auf der einen und mazedonischen Grenzern auf der anderen Seite scheinen bereits Alltag geworden zu sein. Um die 100 junge Männer aus Syrien, aber auch aus Marokko und Pakistan, also Nationen, die kaum Aussicht auf Asyl haben, provozierten am Mittwoch, wie schon am Sonntag und am Montag, die Mazedonier, bis diese zu schärferen Methoden griffen. Ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel, ganz nach dem Vorbild der palästinensischen Intifada. Auch am Mittwoch forderte es Verletzte.
Doch diesmal gab es, anders als bei den schweren Zusammenstößen vom vergangenen Sonntag mit Hunderten Verletzten, ein neues Element: Erstmals zeigte die griechische Polizei Präsenz vor dem Grenzzaun. Sie nahm auf einer Länge von mehreren Hundert Metern Aufstellung vor dem Stacheldraht, der die Grenze markiert, und versuchte, die zornigen jungen Männer mit gutem Zureden vom Steinewerfen abzuhalten – allerdings ohne Erfolg. Als die griechischen Polizisten dann zwischen die Fronten gerieten, zogen sie sich zurück; ganz offensichtlich hatten sie den Auftrag, lediglich Fahne zu zeigen und nicht einzugreifen.
Fahndung nach Aktivisten
Diese neuen griechischen Aktivitäten vor dem Grenzzaun dürften mit der scharfen innenpolitischen Kritik zu tun haben, die die Regierung für ihre Zurückhaltung an der Grenze einstecken musste. Auch der Großraum um den Grenzort Idomeni ist jetzt besser gesichert. Zufahrende Autos werden aufgehalten, Journalisten, Helfer und andere Besucher kontrolliert; Polizisten in Zivil sind stets diskret im Umfeld des Lagers zu finden.
Gefahndet wird unter anderem nach Aktivisten und Helfern, die die Flüchtlinge und Migranten immer wieder zu Protestaktionen aufstacheln sollen. Inzwischen brauchen diese jedoch keine Hilfestellung mehr. Sie sorgen selbst für die nötige mediale Aufmerksamkeit, um ihrem Anliegen, die Grenzen zu öffnen, Nachdruck zu verleihen.
Im Lager selbst ging die große Mehrheit der um die 12.000 Bewohner unbeeindruckt von den Krawallen ihren Alltagsgeschäften nach. Eine private Reinigungsfirma säubert die chemischen Toiletten, Ärzte ohne Grenzen teilt Putzkolonnen ein, überall brennen Lagerfeuer, die ganze Gegend ist in Rauch eingehüllt. Im Schatten der Häuser des benachbarten Örtchens Idomeni bieten Schwarzhändler Produkte wie Eier, Obst und Gemüse an. Es ist bereits Mitte April, die griechische Hitze beginnt sich bemerkbar zu machen. Bald wird es unerträglich heiß in den Zelten sein. Dutzende Helfer koordinieren Essensausteilungen, spielen mit den Kindern oder helfen bei der medizinischen Versorgung.
Das Kernlager gruppiert sich um die einst beschauliche Bahnstation von Idomeni, die heute mit bewohnten Garnituren und Güterwaggons sowie mit unzähligen Zelten dicht verstellt ist. Die mazedonische Polizei hat die Gleise auf ihrer Seite mit einem Gittertor gesichert. Ein-, zweihundert Meter weiter hat die griechische Polizei Mannschaftswagen als Blockade aufgestellt. Die Lagerleitung aber will der Staat nach wie vor nicht übernehmen, das Lager sei provisorisch, heißt es immer wieder – und müsse friedlich geräumt werden. Die Aussichten auf einen Erfolg dieser Taktik steigen: Die letzten Tage sind mehrere Hundert Flüchtlinge abgewandert, auch am Mittwoch beluden Familien die bereitgestellten Busse.
Lager in Piräus wird geräumt
In Piräus übrigens, einem der anderen kritischen Punkte in Griechenland, geht die Evakuierung zur Zeit um vieles schneller vor sich. In den letzten Tagen verließen über 1000 Menschen das provisorische Lager am Hafen. Bis zu den griechischen Ostern in der letzten Aprilwoche will die Regierung beide Lager geräumt haben. In Piräus dürfte dies gelingen, in Idomeni wohl kaum – und so werden die Helferscharen wohl noch einige Zeit die Hotels der Region füllen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2016)