Verbaler Furor und mangelnde Sensibilität auf dem Brenner

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Österreichs Regierung sendet Signale an die eigene Bevölkerung und an Flüchtlinge, bei den Nachbarländern kommen diese freilich anders an.

Was ist politische Sensibilität? Sie ist ein enger Pfad zwischen Machterhalt und Verantwortung. Sie wird komplex, wenn sie nach innen und nach außen gleichermaßen angewandt werden muss. Insoweit muss der heimischen Regierung zugestanden werden, dass es eine durchaus schwierige Übung war, in der Flüchtlingskrise immer die richtigen Worte zu finden. Vor allem aber die richtigen Handlungen zu setzen. Denn der Aufschrei war programmiert – in welche Richtung es auch immer ging.

Österreichs Regierung konnte auf Verständnis hoffen, als sie zu dem Schluss kam, die chaotische Zuwanderung müsse in geordnete Bahnen gelenkt werden. Es war ein (gewollter) Nebeneffekt, dass diese Politik in der Bevölkerung gut ankam. Das Verständnis der europäischen Partner, der Nachbarstaaten insbesondere, wurde freilich von Beginn an strapaziert: mit einem Obergrenzenalleingang zwei Tage vor einem einberufenen EU-Flüchtlingsgipfel, mit der Nichteinladung Griechenlands zum Westbalkan-Gipfel. Doch all das ging in einem aufgewühlten und selbstzweifelnden Europa noch durch, da die Situation angespannt war, gemeinsame Lösungen nicht durchsetzbar waren.

Mittlerweile ist aus Einzelaktionen wie in Spielfeld ein breites Politikfeld geworden. Vorsichtige Formulierungen der Regierung sind einer Kampfrhetorik gewichen. Es werden immer lautere Signale ausgesendet – um die verunsicherte Bevölkerung zu erreichen und um Flüchtlinge abzuschrecken. Aus einem sanft angekündigten „Grenzmanagement“ wurden „massive Grenzkontrollen auch mit Soldaten“ (Doskozil). Aus „baulichen Maßnahmen“ wurden „Zäune“ (Mikl-Leitner).

Regierungsvertreter von der Innenministerin über den Verteidigungsminister bis hin zum Außenminister haben sich in einen Furor geredet. Absurd: Je geringer der Druck an der Grenze wurde, umso schärfer wurden ihre Äußerungen, umso grenzwertiger wurde die rechtliche und praktische Verschärfung des Asylrechts.

Und jetzt noch der Brenner: Die Regierung hat natürlich das Recht, wenn nicht die Pflicht, sich auf einen Massenandrang an der italienisch-österreichischen Grenze vorzubereiten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich die Wege der Flüchtlinge über Italien in Richtung Norden verlagern. Aber es ist noch nicht so weit.

Statt gleich von Militär und Zäunen zu sprechen, Baumaschinen auf den Brenner zu beordern, um neue Kontrollstellen und Zäune zu errichten, hätte es vielleicht nur ein paar Minuten der Reflexion gebraucht. „Was tun wir hier eigentlich?“ Österreich „sichert“ eine Grenze, die eine lange, schwierige Geschichte hat. Die Bundesregierung sendet Signale der politischen Härte aus. Aber mangels diplomatischer Vorbereitung kann ihr nun vorgeworfen werden, dass ihr die Nachbarschaft mit Italien, mit Südtirol, die Verantwortung für den wichtigsten Handelsweg zwischen Nord- und Südeuropa weniger als eine präventive Abschottung bedeutet. Außenminister Sebastian Kurz setzt ohne Not Italien mit Griechenland gleich – ungeachtet der Tatsache, dass die italienische Regierung seit vielen Jahren ein weit größeres Problem als Österreich stemmen muss.


Politische Sensibilität hat auch eine historische Dimension. 78 Jahre war diese Grenze eine problematische Trennlinie. Österreich wurde Schutzmacht der Südtiroler, setzte sich massiv für eine Öffnung des Brenner-Übergangs ein und erreichte dies 1998 trotz der Einwände der EU-Partner. Endlich entspannte sich danach das Verhältnis zwischen Italien und Österreich. Nord- und Südtirol wurden auf eine neue, unproblematische Weise in der Schengen-Zone vereint. 18Jahre danach soll das nun geopfert werden, bevor noch irgendeine Notwendigkeit dafür besteht. Das muss viele vor den Kopf stoßen und wird Österreich außenpolitisch schaden.

Logistische Vorbereitungen für einen möglichen Migrationsdruck hätte jeder verstanden. Der überstürzte, laut angekündigte Festungsbau auf dem Brenner mit Zäunen und Soldaten zeugt nur davon, dass bei den Verantwortlichen die Sicherungen zum Schutz vor allzu plumpem Aktionismus durchgebrannt sind.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2016)

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