Russische Jets und Hubschrauber kamen bis auf etwa zehn Meter an den US-Zerstörer USS "Donald Cook" heran. Dies verletze ein Abkommen, klagt Washington.
In der Ostsee ist es, wie in der Nacht auf Donnerstag bekannt wurde, zu Beginn dieser Woche zu einem ungewöhnlichen Zwischenfall gekommen: Ein US-Zerstörer, der in internationalen Gewässern vor der Küste Polens bzw. der russischen Exklave Kaliningrad lag, bekam an zwei Tagen hintereinander sozusagen intimen Besuch von russischen Hubschraubern und Jagdbombern. Mehrfach flogen die Bomber dabei so extrem nah an dem Schiff vorbei, dass man von einem "Streifer" sprechen kann - in mindestens einem Fall dürfte der Abstand sogar weniger als zehn Meter betragen haben.
Aus hohen US-Militärkreisen hieß es, dass man über den Vorfall extrem erbost sei. Die Russen seien "gefährlich nahe" an dem Zerstörer, der USS "Donald Cook", vorbeigeflogen, auf eine "aggressive Weise, wie wir es schon lange nicht mehr gesehen haben."
Das Pentagon leitete am Mittwoch sogar eine rechtliche Prüfung ein: Die Vorbeiflüge könnten das "Incidents at Sea agreement" von 1972 verletzt haben: Dabei handelt es sich um einen Vertrag zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion, der noch heute gültig ist und im Kern zu enge, gefährliche und "missverständliche" Aufeinandertreffen zwischen Schiffen und Flugzeugen beider Staaten vermeiden soll. So ist etwa verboten, in Formationen von Fahrzeugen des jeweils anderen einzudringen, Angriffe zu simulieren und "Aerobatics", also extreme Manöver bzw. Kunstflugmanöver, über fremden Schiffen durchzuführen.
Rund 130 Kilometer vor Kaliningrad
Die exakte Position der Donald Cook, eines 1998 in Dienst gestellten Zerstörers der "Arleigh Burke"-Klasse mit etwa 280 Besatzungsmitgliedern, war vorerst unbekannt. Sie wird nur mit etwa 70 Seemeilen (rund 130 km) vor Kaliningrad angegeben. Der Zerstörer hatte zuvor laut US Navy den polnischen Hafen Gdynia (Gdingen) nahe Danzig verlassen, um in Verein mit einem polnischen Militärhubschrauber Übungen zu machen.
Am Montag seien darauf zwei russische Jagdbomber Typ Suchoi Su-24 "Fencer" aufgetaucht und etwa 20 Mal im Tiefflug in wenigen hundert Metern an der Donald Cook vorbeigebraust. Am Dienstag tauchten zunächst mehrere russische Hubschrauber auf, kreisten um das Schiff und machten Fotos.
In Flak-Reichweite
Später erschienen wieder zwei Fencers und jagten jetzt in mindestens zwölf klar simulierten Angriffsflügen noch näher am Zerstörer vorbei, teils in weniger als 30 Meter Höhe und in besagten etwa zehn Meter Abstand vom Schiff in unmittelbarer Nähe der Brücke. Anders gesagt: Sie waren auch locker in Feuerreichweite der Maschinenkanonen und Maschinengewehre der Nahbereichsflugabwehr des rund 154 Meter langen Zerstörers. Das ganze habe eineinhalb Stunden gedauert.
"Sie waren so nah, dass sie Wellen im Wasser aufwarfen", hieß es aus dem Pentagon. Der Kapitän der Donald Cook, Charles E. Hampton, habe das Vorgehen als „gefährlich und unprofessionell" beschrieben. Die Flugmanöver mit den Polen hätten ausgesetzt werden müssen. Außerdem hätten die Piloten auf Funkrufe nicht geantwortet. Allerdings dürften die Jets, soweit es jedenfalls erkennbar war, unbewaffnet gewesen sein.
Russland weist Vorwürfe zurück
Russland wies die Vorwürfe aggressiven Verhaltens seiner Kampfflugzeuge in der Ostsee zurück. Die Besatzungen der Su-24 hätten alle Sicherheitsregeln eingehalten, meldete die Nachrichtenagentur Interfax am Donnerstag unter Berufung auf das Verteidigungsministerium in Moskau.
Interessantes Detail am Rande: Die Donald Cook war anno 2014 bereits in einen ganz ähnlichen Vorfall verwickelt, damals im Schwarzen Meer. Am 12. April 2014 jagte eine einzelne unbewaffnete Fencer ein Dutzend Mal an dem Zerstörer vorbei und reagierte nicht auf Funk, bis der Commander des Zerstörers entnervt den Kurs ändern ließ.
Gerüchte um "Blendung" des Zerstörers
Bis heute rankt sich ein ganz besonderes Gerücht um diesen Vorfall: Russische Medien berichteten nämlich kurz danach, dass die Su-24 mit elektronischen Störgeräten (System "Khibiny") ausgerüstet gewesen sei und damit das elektronische Feuerleit- und Radarsystem "Aegis" der Donald Cook "ausgeschaltet" habe. Das Schiff sei sozusagen "blind und mit gefesselten Armen" im Wasser gelegen.
Die Berichte wurden seither im Westen, ja sogar seitens der US Navy, weitgehend ignoriert und weder bestätigt noch dementiert. Aus Marine-Kreisen hieß es allerdings, dass die Geschichte erfunden sei. Und im Februar 2015 gab der Hersteller des Khibiny-Systems, der russische "KRET"-Konzern, bekannt, dass es "Zeitungsenten" gewesen sein: Ja, Khibiny könne Radar "neutralisieren" - aber es sei auf Fencers gar nicht installiert.
>>> Video von Bord der Donald Cook aus