„Brenner: Das sind tausend Schritte zurück“

A sign reading ´Brenner - Brennero´ is seen at Brenner on the Italian-Austrian border
A sign reading ´Brenner - Brennero´ is seen at Brenner on the Italian-Austrian border(c) REUTERS (DOMINIC EBENBICHLER)
  • Drucken

Die Ankündigung von Kontrollen sorgt im Grenzdorf für Ärger und Angst. Geschäftsleute fürchten das Ausbleiben der Touristen.

Brenner. Es scheppert. Eine leere Bierdose eiert über den Asphalt vor dem alten Zollhaus. Zugig ist es hier in Brennero/Brenner auf 1370 Metern Seehöhe. Während es im Norden regnet, klart es unten im Süden auf. Und dazwischen, an der Wetterscheide, bläst der Wind. Rau, kalt. Drei Afrikaner in zerschlissenen Jeans drücken sich in einen Hauseingang. Sie schlottern, warten. Worauf, wollen sie nicht sagen. Auch nicht, wo sie herkommen und wohin sie wollen. Sie verstehen nicht, schütteln den Kopf. Hilflos.

24.000 Menschen sind seit Jahresbeginn über das Mittelmeer nach Italien gekommen. Doppelt so viele wie im selben Zeitraum 2015. Wird der Weg über den Brenner zur neuen Hauptfluchtroute in den Norden? Hier, am meistbefahrenen Alpenpass, arbeiten die Bauarbeiter seit Dienstag an Vorbereitungen für die geplanten Grenzkontrollen. Kontrollinspektor Stefan Eder von der Polizeipressestelle in Innsbruck sagt: „Im Moment werden nur Leitplanken abgebaut, und es wird an einem Betonfundament gearbeitet.“

Auf der Autobahn knapp nach der Grenze soll der Verkehr in vier Spuren aufgeteilt und auf Tempo 30 verlangsamt werden. Die Kontrollen sollen auf einem Parkplatz nebenan stattfinden, um den Verkehr so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Dafür wird dort ein Flugdach errichtet. Von den ersten Bauarbeiten, die zu Verstimmungen zwischen Rom und Wien geführt haben, ist im Ort nichts zu bemerken. Doch die geplanten Kontrollen sind das beherrschende Thema. Die Leute sind zornig: „Die machen den Brenner fertig“, so die Inhaberin einer Bäckerei in der Ortsmitte zur „Presse“. Seit 14 Jahren sei sie hier, aber es kämen immer weniger Kunden. „Schauen Sie sich doch um – es sind ganz viele, die schließen mussten.“

Blinde Fenster, leere Auslagen

Das Dorf an der Bundesstraße hat bessere Tage gesehen. Blinde Fenster, leere Auslagen. „Chiuso, geschlossen“ steht an jeder zweiten Ladentüre. Die aktuelle Diskussion schade noch mehr: „Ich weiß gar nicht, was die alle haben. Wir sehen den ganzen Tag über keinen Flüchtling“, sagt die Bäckersfrau. Ähnlich sieht das auch Carla Zingerle, die ein Sportmodengeschäft betreibt. Sie hat Angst: „Wir sind sehr besorgt. Wenn da Kontrollen kommen und damit der Stau, dann fahren die Leute hier nicht mehr zum Einkaufen her.“ Flüchtlinge sehe sie kaum. Im Herbst, ja, da seien es mehr gewesen. „Jetzt ist nichts mehr.“

Der Brenner ist seit rund 2000 Jahren einer der wichtigsten Pässe für die Alpenüberquerung. Auf der Brennerautobahn, deren letztes Teilstück auf Nordtiroler Seite 1971 eröffnet wurde, donnern jährlich zwei Millionen Lastwagen über die Grenze. Und im Sommer fahren hier unzählige Touristen in den Süden. Der, so sind viele Innsbrucker überzeugt, beginnt ja eigentlich bereits hier, an diesem windigen Durchgangsort. Nirgendwo sonst in Tirol gebe es nämlich so authentisch guten, italienischen Kaffee.

Der Meinung sind auch Regina Lechthaler und Karl Janach. Die beiden Pensionisten sind, wie jede Woche, zum Kaffeetrinken und Einkaufen aus Innsbruck gekommen. Eingekauft hat man hier immer schon: Hausschuhe, auch Brennerpatschen genannt, Salami, Zigaretten und Wein. Und hat gezittert, ob einen der gestrenge Zollbeamte bei der Kontrolle durchwinkt oder ob man gefilzt wird.

Die Zöllner wurden mit Österreichs EU-Beitritt 1995 heimgeschickt und der dazugehörige Grenzbalken drei Jahre später feierlich abmontiert. Er ist jetzt im Tirol-Panorama, dem Museum am Bergisel in Innsbruck, zu besichtigen. Ein mahnender Hinweis auf die leidvolle Trennung Tirols, die viele mit der Einrichtung der Europaregion Tirol, Südtirol, Trentino für überwunden hielten. Dass es hier je wieder Grenzkontrollen geben könne, schien unmöglich.

Pass gleicht Flaschenhals

Und doch werden dafür in den kommenden Monaten die notwendigen Anlagen gebaut. Der Brennerpass gleicht einem Flaschenhals. Auf der nicht mehr als 250 Meter breiten Talsohle liegen dicht nebeneinander der Ort, die Autobahn, die Gleisanlagen und die Bundesstraße. Links und rechts steigen die Bergwände steil an. Ende Mai sollen die Bauten fertig sein, kontrolliert werden könne aber schon früher, so die Exekutive. Vor allem die Südtiroler fürchten diese Kontrollen.

„Das sind 1000Schritte zurück“, sagt Greta Schmidt. Die junge Frau aus Lana bei Meran hat in Innsbruck Wirtschaft studiert, ihren Master in Dänemark gemacht und dann in Taiwan gearbeitet, bevor sie wieder nach Hause gezogen ist. Die Brenner-Grenze kennt sie nur aus den Erzählungen ihrer Eltern. Jetzt wartet sie auf den Zug, will eine Freundin in Innsbruck besuchen.

Auch einer der Afrikaner von vorhin steigt in den Regionalzug. Er ist kaum älter als zwölf, dreizehn Jahre. Der Bub rutscht auf seinem Sitzplatz hin und her, dreht sich immer wieder nervös um. Als der Zug schließlich anfährt, entspannt er sich. Nur, um sofort davonzulaufen, als der Schaffner kommt. Dieser seufzt: „Fünf bis sechs davon sind in jedem Zug. Das hört nicht auf.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Italien schickt Soldaten an Brenner-Grenze

Rom reagiert auf Kritik aus Österreich und will Straßen und Bahn besser kontrollieren.
Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier
Europa

Brenner: Seehofer bietet bayerische Polizisten an

Der bayerische Ministerpräsident führt den Rückgang der Flüchtlingszahlen auf Österreichs Initiative zurück. Außenminister Steinmeier verteidigt indes das Abkommen mit der Türkei.
ITALY-AUSTRIA-BORDER-DEMONSTRATION
Politik

Italien begrüßt Österreichs Verzicht auf Brenner-Kontrollen

Fast alle italienischen Parteien begrüßen Österreichs Entscheidung. Kritisch zeigt sich dagegen die Lega Nord.
Brenner
Politik

Österreich verzichtet vorerst auf Kontrollen am Brenner

Wegen des italienischen Kontrolldrucks reduzierten sich die Flüchtlingszahlen massiv, sagt Innenminister Sobotka. Daher werde mit den Maßnahmen für das Grenzmanagement vorerst zugewartet.
Grenzkontrollen bei Nickelsdorf im Burgenland.
Außenpolitik

Wien und Berlin wollen Schengen-Kontrollen verlängern

Insgesamt sechs Staaten haben bei der EU-Kommission um Verlängerung der Kontrollen im Schengen-Raum gebeten. Sie will offenbar grünes Licht geben.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.