Das digitale Phrasenschwein

Floskelwolken
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Mit den richtigen Worten lässt sich auch Negatives schön darstellen. Zwei Autoren wollen solche verschleiernden Formulierungen bewusst machen.

Vielen Dank für Ihr Verständnis. Das klingt gut, nur ist es eine Unterstellung. Denn kann man tatsächlich wohlwollend nachvollziehen, warum der Zug mit einer Stunde Verspätung ankommen wird? Eigentlich wäre ja eher die Bitte um Verständnis angebracht. Es mag eine sprachliche Kleinigkeit sein, aber genau die kann einen Unterschied ausmachen. Denn Sprache transportiert immer eine Botschaft – und die kann durch die richtige Wortwahl auch in verschiedene Richtungen gesteuert werden.

Sebastian Pertsch und Udo Stiehl widmen sich genau solchen sprachlichen Phänomenen. Die beiden Journalisten haben vor zwei Jahren damit begonnen, Floskeln, Phrasen und Formulierungen zu sammeln, die abgedroschen, missverständlich oder sogar manipulativ sind, und sie in einem Webprojekt veröffentlicht. Die „Floskelwolke“ bietet täglich aktualisiert einen Überblick, welche Begriffe und sprachlichen Bilder in deutschsprachigen Medien besonders häufig verwendet werden. Was unter anderem zeigt, wie wenig kreativ oft an eigenen Formulierungen gearbeitet wird. Da wird etwa „mit Hochdruck gearbeitet“, bis man „wie durch ein Wunder“ endlich „grünes Licht“ bekommt. Da gibt es jedenfalls, meinen die beiden, noch „Luft nach oben“.


Sich vor Gericht verantworten. Doch neben dieser harmlosen Stilkritik, die außer dem Aufzeigen platter Formulierungen keine größere Wirkung hat, wird in der Floskelwolke auch auf sprachliche Bilder hingewiesen, die unterschwellig oder auch ganz offen eine Wertung in sich tragen. „Wenn sich jemand ,vor Gericht verantworten‘ muss, schwingt mit, dass er tatsächlich etwas getan hat“, sagt Pertsch. Die Möglichkeit, dass er unschuldig ist, ist in dieser Formulierung jedenfalls nicht enthalten. Umgehen ließe sich das etwa damit, dass man davon spricht, dass jemand wegen eines bestimmten Vergehens angeklagt sei.

Solche Formulierungen stammen aber nicht nur von Journalisten, auch in der Wirtschaft oder Politik wird mit Begriffen gearbeitet, die etwas positiver wirken lassen sollen. Hinter dem „sozial verträglichen Stellenabbau“ verbirgt sich etwa, dass in einem Unternehmen eben vornehmlich junge Mitarbeiter, die keine Kinder haben, hinausgeworfen werden. „Sozial schwach“ klingt dagegen weniger hart, als müsste man jemanden als „arm“ bezeichnen. Und wird in der Politik etwa von einer Preisbremse gesprochen, so suggeriert das, dass eine Entwicklung gestoppt werden kann – in Wirklichkeit lässt sich mit derart bezeichneten Maßnahmen oft nur der Anstieg etwas verlangsamen.

Umgekehrt lässt sich etwa mit dem Bild einer „Flüchtlingswelle“ oder gar eines „Flüchtlingstsunamis“ ein negatives Bild von Menschen auf der Flucht zeichnen. Auf der anderen Seite kann mit derartigen Begriffen auch Schönfärbung betrieben werden, wenn etwa Menschen, die ausländerfeindlich agieren, als „Asylgegner“ oder „Asylkritiker“ bezeichnet werden. Derartige Dinge aufzuzeigen, haben sich Pertsch und Stiehl vorgenommen. Wobei sie sich nicht als Sprachpolizei sehen. „Der Weg ist das Ziel“, sagt Stiehl. „Man muss sich klar sein, warum man etwas so schreibt, wie man es schreibt, und es begründen können.“ Problematisch sei vor allem, wenn man nicht darüber reflektiere, was man über derartige Begriffe mittransportiert, wenn man sie gedankenlos nachplappert.

Die Website soll dabei eine Grundlage für Debatten liefern. User schicken Vorschläge, welche Worthülsen oder Sprachbilder sie für problematisch halten. Die beiden Betreiber übernehmen die besten Begriffe und Redewendungen und messen über eine Schnittstelle mit Google, wie häufig sie eingesetzt werden. Insgesamt werten sie dabei 1972 deutschsprachige Medien aus. Am Ende steht oft eine Diskussion, die zum Beispiel auf Twitter geführt wird. Und gelegentlich bei manchen die Erkenntnis, dass man einige Begriffe eben nicht mehr verwenden wird.

Abseits der Website haben Pertsch und Stiehl nun auch ein Buch geschrieben, in dem sie sich in verschiedensten Bereichen auf die Suche nach Plattitüden und verschleiernden Formulierungen gemacht haben. „Ihr Anliegen ist uns wichtig“ versammelt unter anderem auch Beispiele aus Wirtschaft und Werbung. Wenn etwa in Flugzeugen der „Economy“-Class ein „Premium“ verpasst wird – was für ein paar Zentimeter mehr Beinfreiheit steht und vielleicht für Porzellanteller statt Plastikgeschirr. Lässt sich aber gleich teurer verkaufen. Wird bei Lebensmitteln eine „neue Rezeptur“ angepriesen, sei das meist nur ein Code dafür, dass irgendeine natürliche Zutat durch eine künstliche – und billigere – ersetzt wurde. Und auch das in der Wirtschaft gelegentlich verkündete „Nullwachstum“ ist – genau in der Mitte zwischen „Minuswachstum“ und „Positivverlust“ vor allem heiße Luft. Da wird es wohl „schmerzhafte Einschnitte“ brauchen.


Phrasen live auf Sendung. Die Floskelwolke hat in den vergangenen Monaten viele Fans gewonnen – Journalisten, Öffentlichkeitsarbeiter, aber auch einfach Menschen, die Spaß an der Sprache haben. Das Datenjournalismusprojekt wurde bereits mit dem Günter-Wallraff-Preis für Journalismuskritik ausgezeichnet und war für den Grimme Online Award nominiert. Wobei die Macher ihre Idee noch ausbauen möchten. Etwa mit einer Spracherkennung, die während einer Sendung die Verwendung von verschleiernden Begriffen misst – und man live darauf reagieren kann: „Jetzt sagen Sie doch endlich, was Sie wirklich meinen!“ Spannend wäre auch, die Geschichte der Verwendung von Begriffen nachvollziehen zu können. Wann etwa eine Floskel erstmals verwendet wurde und sich danach, vielleicht sogar regional separat ausgewertet, ausgebreitet hat. Aber, um das mit einer hübschen Floskel zu beenden, das ist noch Zukunftsmusik.

Das Buch

Ihr Anliegen ist uns wichtig. So lügt man mit Sprache. Piper; 10,30 Euro

Die Autoren:
Sebastian Pertsch (geb. 1981) arbeitet als freiberuflicher Journalist im Hörfunk. Udo Stiehl (geb. 1970) ist Nachrichtenredakteur beim WDR. Ihr Projekt „Floskelwolke“ wurde 2015 mit dem Günter-Wallraff-Preis für Journalismuskritik ausgezeichnet und war für den Grimme Online Award nominiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2016)

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