Brasilien: Anfang vom Ende der Ära Rousseff

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Das Parlament stimmte mit überwältigender Mehrheit für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Dilma Rousseff. Ihre schwindende Hoffnung ruht nun auf dem Senat.

Buenos Aires. Dilma Rousseff drohen die letzten Rettungsringe davonzuschwimmen. Nachdem in der Nacht auf Montag mehr als zwei Drittel der brasilianischen Kongressabgeordneten für eine Amtsenthebung der Präsidentin votiert haben, bleibt ihr nur noch die schwache Hoffnung auf eine Wende im Senat. Die zweite Parlamentskammer muss in den kommenden Wochen mit einfacher Mehrheit entscheiden, ob sie das Verfahren annimmt. Sollte das geschehen, müsste Rousseff den Regierungssitz Palácio do Planalto räumen und – abgesondert von sämtlichen Entscheidungen – 180 weitere Tage in ihrer Residenz, dem Palast der Morgenröte, ihrer Demontage zusehen, ehe die Senatoren voraussichtlich im Oktober ihr finales Urteil sprechen.

Für Rousseffs Arbeiterpartei PT schaut es indes nach Abenddämmerung aus. Die turbulente Abstimmung im Kongress endete mit 367 Voten pro Impeachment, deutlich mehr als die erforderliche Zweidrittelmehrheit von 342. Nur die wenigsten Kritiker beriefen sich auf den Kern des Verfahrens, Rousseffs angebliche Manöver, um im Wahljahr 2014 den Haushalt zu schönen. Die meisten thematisierten Korruption, ihre Familien, die lahmende Wirtschaft oder gar höchste Mächte. „Gott segne diese Nation“ waren die Worte Eduardo Cunhas, des Parlamentspräsidenten, der das Verfahren ins Rollen gebracht hatte. Dass er selbst unter Korruptionsverdacht steht und gegen 60 Prozent der Abgeordneten wegen Straftaten ermittelt wird, hat den evangelikalen Prediger nicht bremsen können.

„Das ist kein Staatsstreich“

„Ich werde gezwungen, an dieser Farce mitzuwirken“, klagte der linke Abgeordnete Jean Wyllys. „Geleitet von einem Dieb, angetrieben von einem Verräter und unterstützt von Folterern, Feiglingen und Käuflichen!“ Währenddessen reckten Wyllys' Gegner Plakate hoch, auf denen stand: „Tchau Querida“. Mit „Ciao, meine Liebe“ hatte Lula Präsidentin Dilma in jenem Telefonat verabschiedet, das den Weg aus der Petrobras-Ermittlung in die Öffentlichkeit fand. Auf den Plakaten stand auch: „Das ist kein Staatsstreich. Das ist ein Impeachment!“ Diese Auslegung bejaht offenbar auch der überwiegende Teil des Volkes, seit Monaten massiv instruiert von den Massenmedien.

Umfragen ergaben 60 Prozent für die Amtsenthebung Rousseffs. Allerdings manifestieren die befragten Bürger ebenso ihre beinahe einhellige Ablehnung gegenüber Cunha und Rousseffs wahrscheinlichem Nachfolger. Vizepräsident Michel Temer, 75, ebenso reicher wie routinierter Politprofi libanesischer Abstammung und Vorsitzender der koalitionsflüchtigen PMDB, verbreitete bereits vorige Woche „aus Versehen“ seine Antrittsrede als Präsident via WhatsApp. Nun stellt Temer sein Kabinett zusammen. Eine delikate Mission, auch für einen geübten Strippenzieher, denn die Mehrheit gegen Rousseff will nun abgegolten werden. Offenbar fest eingeplant: die Zustimmung der Senatoren.

Ungültige Wahl 2014?

Deren Vorsitzender, Renan Calheiros, auch schwer belastet in der Strafsache Petrobras, pflegte bis dato einen kooperativeren Umgang mit Dilma und deren Vorgänger Lula. Darum fürchten Temer und seine Freunde in Politik, Wirtschaft und Redaktionen, Calheiros könnte sich Zeit lassen. Das würde es der PT-Führung ermöglichen, ihren Anhang aus Gewerkschaften und der Landlosenbewegung zur Paralyse des Landes zu motivieren und derweil den Senatoren verlockende Angebote zu unterbreiten. Ähnliches haben die PT-Führer schon mit den Parlamentariern versucht, allerdings bekamen diese offenbar ebenso explizite Anrufe von Unternehmern.

Rousseff, die als junge Frau drei Jahre Folterkerker durchhielt, ohne entscheidende Informationen preiszugeben, hat beteuert, sie werde nicht freiwillig zurücktreten. Das höchste Wahlgericht TSE muss in den kommenden Wochen Aussagen von Rousseffs früheren Wahlkampfmanagern analysieren. Sollte sich der Verdacht auf illegale Finanzierung erhärten, könnten die Richter die Wahl 2014 für ungültig erklären und Neuwahlen ausrufen. Vielen Brasilianern wäre das lieber, als die Pest durch die Cholera zu ersetzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2016)

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