Libyen: "Mit der Hilfe Gottes und der US-Navy Seals"

Der deutsche Beauftragte der Vereinten Nationen für Libyen, Martin Kobler (Zweiter von l.), machte in Tobruk im Osten des Landes dem Vorsitzenden des international anerkannten Parlaments, Aguila Saleh, seine Aufwartung.
Der deutsche Beauftragte der Vereinten Nationen für Libyen, Martin Kobler (Zweiter von l.), machte in Tobruk im Osten des Landes dem Vorsitzenden des international anerkannten Parlaments, Aguila Saleh, seine Aufwartung.(c) REUTERS (STRINGER)
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Libyens Premier Fayez al-Sarraj versucht von einer Marinebasis in Tripolis aus, die Geschicke des gesamten Landes zu lenken. Ein schwieriges Unterfangen.

Kairo. Alle sind sich einig: Der neuen libyschen Einheitsregierung muss massiv unter die Arme gegriffen werden. Europäische Außenminister, ob der Deutsche Frank-Walter Steinmeier oder seine französischen, britischen und italienischen Amtskollegen, haben sich in den vergangenen Tagen in Tripolis die Klinke in die Hand gegeben. Der EU-Rat heißt die neue Regierung mit dem vielversprechenden Namen Government of National Accord (GNA) willkommen. Europäische Finanzhilfe wird versprochen, Hilfe beim Aufbau der Institutionen, beim Training der Armee, der Sicherheitskräfte und Küstenwache.

Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wartet auf einen Anruf des neuen libyschen Premiers, Fayez al-Sarraj. „Wir sind bereit zu helfen. Aber wir werden keine Truppen schicken und nichts unternehmen, wenn das nicht von der libyschen Regierung angefordert wird.“

Massive Finanzunterstützung und eine mögliche Militärintervention liegen in der Luft. Und das nicht uneigennützig. Es geht darum, die Expansion der Jihadisten des Islamischen Staates (IS) einzudämmen. Es geht auch um die Flüchtlinge, die sich wieder über das Mittelmeer nach Italien aufmachen. Sie sollen nach der Vorstellung der EU schon in Libyen gestoppt, die Schlepper dort verfolgt werden.

Milizen kontrollieren die Hauptstadt

Das Ganze hat aber einen großen Haken: Die GNA hat ein massives Durchsetzungs- und Legitimitätsproblem. Sie wurde von der UN eingesetzt und ist das Produkt eines langwierigen nationalen Dialogprozesses, an dem aber nicht alle der unzähligen Machtzentren in Libyen beteiligt waren. Jetzt muss die neue Regierung abgesegnet werden, zumindest von den beiden großen Machtzentren, sonst gibt es schlimmstenfalls nicht eine, sondern drei Regierungen im Land.

Das hat sich in den vergangenen Wochen als mühsamer Prozess erwiesen, seit die neue Regierung in Tripolis am 30. März per Boot vom Meer aus in Tripolis an Land gekommen ist, weil ihre Rivalen den Luftraum gesperrt haben. „Wir kamen mithilfe Gottes und der US-Navy-Seals“, beschreibt Vizepremier Mousa al-Koni diese kuriose Ankunft. Seither residiert die neue Regierung in einer Marinebasis und kontrolliert nicht einmal die Hauptstadt, die von verschiedenen Milizen „verwaltet“ wird. „Weniger als 50 Prozent der Milizen folgen unseren Befehlen“, gibt Hussam Mohammed, Sprecher des Innenministeriums für Südtripolis, unumwunden zu.

Der hofierte General Haftar

Die neue Regierung hat es noch nicht geschafft, dass die beiden alten großen Machtzentren des Landes, eine rivalisierende Regierung in Tripolis und das bisher international anerkannte Parlament in Tobruk im Osten Libyens, ihre Macht zugunsten der GNA komplett abgeben. In der rivalisierenden Regierung in Tripolis haben viele zwar der GNA ihre persönliche Zustimmung erteilt, deren Chef Khalifa Ghweil weigert sich aber immer noch, die Autorität der GNA anzuerkennen.

Ähnlich läuft es im zweiten Machtzentrum im Osten des Landes, in der Stadt Tobruk. Das dortige Parlament verschiebt seit Tagen eine Abstimmung, in der die neue Regierung abgesegnet werden soll. Der Knackpunkt ist die Rolle des Generals Khalifa Haftar, der sich gern als Chef einer gesamtlibyschen Armee sehen würde, der aber im Westen des Landes diskreditiert ist.

Auch international war Haftar vor allem von Italien und Frankreich hofiert worden, in der Hoffnung, er könne nach dem Muster des Nachbarn Ägypten, einen al-Sisi-Effekt auslösen und stark genug sein, ganz Libyen unter seine Kontrolle zu bringen. Eine Hoffnung, die sich bald als falsch erwiesen hat. Nun ist es schwierig, den Geist, den man erweckt hat, zurück in die Flasche zu bringen.

Aber die neue Regierung hat auch Erfolge zu verzeichnen. Es ist ihr gelungen, die wichtige Zentralbank und das Ölministerium unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Zentralbank finanzierte bisher aus Öleinnahmen die Gehälter, Subventionen und auch Milizen – und das auf allen Seiten. Sie soll jetzt nur noch die GNA und deren Institutionen finanzieren.

Das Schicksal der Zentralbank ist entscheidend für den Einigungsprozess. Ihr Kapital ist allerdings von 280 Milliarden Dollar auf 50 Milliarden Dollar gesunken. Denn die Ölproduktion ist nur noch ein Fünftel dessen, was zu Gaddafis Zeiten gefördert wurde – und das bei stark gesunkenem Ölpreis. Leere Kassen der Zentralbank könnten vielleicht am Ende die im Land verstreuten Milizen doch noch dazu bewegen, sich einem staatlichen Gebilde zu unterwerfen. Libyen hat vielleicht bald eine neue nationale Einheitsregierung – aber noch lange keinen Staat.

AUF EINEN BLICK

Eine neue Einheitsregierung, die sogenannte Government of National Accord (GNA),unter Premier Fayez al-Sarraj soll das Bürgerkriegsland Libyen aus dem Chaos führen. Dabei erhält sie auch internationale Unterstützung. Derzeit residiert das Kabinett auf einer Marinebasis in der libyschen Hauptstadt, Tripolis. Zwar ist die bisherige Konkurrenzregierung in Tripolis mittlerweile abgedankt, um Sarrajs GNA Platz zu machen. Doch der frühere Gegenpremier und viele der mächtigen Milizen in Tripolis wollen die neue Einheitsregierung nach wie vor nicht anerkennen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2016)

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