Unsere Skandale haben System

Die eigentliche Aufgabe des U-Ausschusses lautet: Befreiung des öffentlichen Lebens von der Parteipolitik.

Noch ist schwer abzusehen, was der „Spitzel"-U-Ausschuss in seinen einzelnen Untersuchungsgegenständen zutage fördert. Die vorab verstreuten Einzelinformationen zum Thema Österreich - Kasachstan etwa ergeben ein Bild, das zwischen Agentenklamauk und Staatskrise oszilliert. In Summe entsteht aber immer deutlicher ein durchaus beunruhigendes Bild. Das Zusammenspiel zwischen Parlament, Regierung, Exekutive und Justiz sollte in einem liberalen Rechtsstaat westlicher Prägung der Logik von Transparenz, Kontrolle und klaren Verantwortungen folgen. In Österreich folgt es jener Logik, die für die fundamentalen Konstruktionsfehler in der politischen Architektur dieses Landes zuständig ist: der Logik der Parteipolitik.

Ein Land, in dem die Vergabe der Schlüsselpositionen in Verwaltung, Justiz und Exekutive streng nach parteipolitischen Kriterien erfolgt, endet naturgemäß dort, wo sich Österreich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen wiederfindet: in einem Dickicht aus Inkompetenz, Vertuschung, Spitzelei und Zweifeln an der Unabhängigkeit von Justiz, Verwaltung und Exekutive.

Natürlich kann und muss man prinzipiell verlangen, dass Polizeibeamte auch dann, wenn sie ihren Arbeitsplatz in erster Linie parteipolitischer Aktivität oder Intervention verdanken, ihre verfassungsmäßigen Pflichten höher einschätzen als ihre Dankbarkeitsverpflichtung gegenüber ihren Protektoren. Aber es ist nicht wahnsinnig realistisch. Natürlich kann und muss man auch von Staatsanwälten, die ihre Berufung eher ihrer Parteinähe als ihrer juristischen Qualifikation verdanken, verlangen, dass sie ihre Verschwiegenheitspflichten höher einschätzen als die Informationsbedürfnisse ihrer Gönner. Aber wir wissen, dass das oft nicht der Fall ist. Natürlich muss und kann man von Mitarbeitern der Nachrichtendienste verlangen, dass sie die Sicherheitsinteressen der Republik höher bewerten als die Sicherheitsinteressen von Gesinnungsfreunden, die in innerparteilichen Abwehrkämpfen Bedarf an Datenmunition haben. Aber man darf nicht damit rechnen.

Natürlich gilt dieser Befund nicht für die Gesamtheit von Politik, Verwaltung, Justiz und Exekutive. Österreich ist kein totalitärer Parteienstaat, es gibt in allen genannten Bereichen Menschen von bewundernswertem Idealismus, eiserner Disziplin und untadeligem Berufsethos. Aber durch die jüngere und ältere Skandalgeschichte Österreichs zieht sich das immer gleiche Grundmuster: zu wenig „rule of law", zu viel „rule of party". Ja, natürlich ist Österreich ein Rechtsstaat. Aber es ist auch und in einem viel zu großen Ausmaß ein Parteienstaat.
Auch die jüngsten Ereignisse machen das deutlich: SPÖ-Politiker finden nichts dabei, ihre Nichtverwicklung in die HAA-Affäre damit zu begründen, dass das Heeresabwehramt längst nicht mehr „rot", sondern eben „blau" sei. Das regelmäßige Geschrei über „Umfärbungen" in Ministerien, Verwaltungsstrukturen und staatsnahen Unternehmen zeigt immer nur eines: Nicht die Färbung wird als das Problem erkannt, sondern die Umfärbung. Dass dieses Prinzip sein größtes Gefährdungspotenzial für Demokratie und Rechtsstaat dann entwickelt, wenn auch die parlamentarischen Kontrollmechanismen unter der Kontrolle der (Regierungs-)Parteien stehen, ist das wichtigste Argument gegen Große Koalitionen und für eine Stärkung der parlamentarischen Minderheitsrechte.

Der Schaden, den die parteipolitische Beherrschung der staatlichen Institutionen anrichtet, geht aber weit über die jetzt verhandelten Fälle, so gravierend sie im Einzelnen auch sein mögen, hinaus. Die parteipolitische Durchdringung des öffentlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens, die in den Institutionen der Sozialpartnerschaft ihre Überhöhung erfahren hat, höhlt die Gesellschaft aus. Sie führt zur Passivität, zum Anspruchsdenken, zum Freiheitsverzicht und zur Verantwortungsverweigerung.

Und letztendlich auch zum unübersehbaren Qualitätsverlust des politischen Personals: Ein System, in dem parteipolitisches Funktionieren für das berufliche und gesellschaftliche Fortkommen wichtiger ist als Leistung und Individualität, tendiert früher oder später in Richtung Selbstzerstörung durch Selbsterhaltung. Die Leistungsorientierten, Selbstbewussten und Risikofreudigen meiden es und suchen sich die verbliebenen Nischen außerhalb der staatsnahen Strukturen.

Die politische Aufgabe, die unter der Oberfläche auch dieses Untersuchungsausschusses wartet, lautet: Befreiung des öffentlichen Lebens von der Parteipolitik.


michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2009)

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