Österreichs vergessene Kinder

Schwarze Kinder in Salzburg, um 1960. Die Pflegeeltern, ein Amerikaner und eine Österreicherin, wanderten mit ihnen in die USA aus.
Schwarze Kinder in Salzburg, um 1960. Die Pflegeeltern, ein Amerikaner und eine Österreicherin, wanderten mit ihnen in die USA aus.(c) Sammlung Lost in Administration
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Hunderte Kinder afroamerikanischer Soldaten und weißer Mütter kamen in der Nachkriegszeit auf die Welt. Sie waren die erste Generation Schwarzer in der Zweiten Republik.

Es gibt die Väter, die auf zwei, drei vergilbten Bildern auftauchen, und von denen ihre Kinder nicht mehr wissen als das, was die fotografische Momentaufnahme übermittelt. Es gibt die Väter, deren Namen man kennt, und es gibt jene, die völlige Phantome sind, von denen man nur gesichert weiß, dass sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich aufgehalten haben. Es gibt die Väter, die Glückwunschkarten aus Amerika geschickt, manchmal angerufen, mit Geld ausgeholfen haben, und die später wieder in der Weite verschwunden sind. Jeder Zeitzeuge, den Philipp Rohrbach und Niko Wahl getroffen haben, hatte eine andere Vater- bzw. Familiengeschichte zu erzählen.

Und doch haben alle diese eine Gemeinsamkeit: Die Väter, das waren Amerikaner, schwarze GIs, die während der Besatzungszeit nach 1945 in Österreich stationiert waren. „Wenn wir über dieses Thema sprechen“, sagt Rohrbach, „sprechen wir über die erste Generation Schwarzer in der Zweiten Republik in Österreich.“ Schwarze Kinder in der Nachkriegszeit, im postnationalsozialistischen Österreich – ein Thema, das bisher sowohl von der Öffentlichkeit als auch von der Wissenschaft stiefmütterlich behandelt worden ist. Mit ihrer Ausstellung „SchwarzÖsterreich. Die Kinder afroamerikanischer Besatzungssoldaten“, die kommenden Dienstag im Volkskundemuseum Wien eröffnet wird, wollen Rohrbach und Wahl dieses Thema der österreichischen Zeitgeschichte hinzufügen.

Weil es so gut wie gar keine Anknüpfungspunkte gab – schwarze Kinder wurden nicht registriert –, suchten die beiden Kuratoren nach der viel zitierten Nadel im Heuhaufen. Von den vorsichtig geschätzt 20.000 Besatzungskindern dürften 350 bis 500 einen schwarzen Vater haben. Die meisten, die noch in Österreich leben, führen ein unauffälliges Dasein, vielleicht als Resultat dessen, wie viele aufgewachsen sind: marginalisiert, diskriminiert, in Unsicherheit. Die Betroffenen kamen in äußerst komplizierten Strukturen auf die Welt. Sie waren Kinder der Besatzer, der Feinde sozusagen, in den meisten Fällen waren sie auch noch unehelich, und das in einem streng katholischen Umfeld. Sie waren schwarz in einem komplett weißen Land. Der Druck auf die Mütter war enorm. Aber auch die Väter nahmen schwierige Ausgangsbedingungen mit, kamen sie doch aus einem stark segregierten Land, was sich freilich auf ihren Dienst in der Armee auswirkte.

Es gab Fälle, erzählen Wahl und Rohrbach, da wollten die Paare zusammenbleiben, aber von allen Seiten gab es Widerstand. Die US-Armee hatte kein Interesse daran, ihre Soldaten heiraten zu lassen. Die österreichische Familie hatte Bedenken, so auch die schwarze Familie in den USA, weil es sich doch um eine weiße Frau handelte. Oft, meint Rohrbach, lag es nicht an den Paaren selbst, warum die Beziehung letztlich nicht funktioniert hat.

Die Haare. Nicht jedes schwarze Besatzungskind kam in einer Liebesnacht zustande oder wurde in eine intakte Beziehung hineingeboren. Einige wurden nach der Geburt in Heimen untergebracht, andere zur Adoption freigegeben, in die USA, wo Rohrbach und Wahl ebenfalls Betroffene gefunden haben. So sind in der Ausstellung Bilder von Afroamerikanern zu sehen, die als Afroösterreicher geboren wurden.

So unterschiedlich ihre einzelnen Lebenswege auch sein mögen, einige Erlebnisse sind nahezu deckungsgleich. Man erinnert sich daran, dass die Erwachsenen nicht verstanden haben, wie sie mit den Haaren des Kindes umgehen sollten. „Klingt banal, ist es aber nicht“, sagt Wahl. Da wurde der Kopf schon einmal rasiert, in dem Glauben, dass die Haare glatt nachwachsen würden. Nicht aus Böswilligkeit, man hat es einfach nicht besser gewusst. Böswillig waren da eher die Bemerkungen mancher Nachbarn, wie sich eine Zeitzeugin erinnert. Da riefen ihr die Leute zu: „Schau, da kommt die Negerin“; ganz bewusst beleidigend hätten sie diese Bezeichnung verwendet.

Nur wenige Kinder von schwarzen Vätern kannten einander, selten kam ein Austausch zustande, von fehlenden Vorbildern und Role Models gar nicht zu reden. Der bekannteste Sohn eines schwarzen US-Soldaten und einer österreichischen Mutter ist der Fußballspieler Helmut Köglberger, der in Oberösterreich aufwuchs; das Land war wie Salzburg und ein Teil Wiens von den USA besetzt. Eine öffentliche Auseinandersetzung begann im Übrigen jüngst auch mit Besatzungskindern marokkanischer Kolonialtruppen, die in Vorarlberg auf die Welt kamen – Vorarlberg war französisch besetzt.

Kein Aprilscherz. Auf die Recherchen von Rohrbach und Wahl haben die Betroffenen verschieden reagiert. Einige wollten nur anonym erzählen, andere ließen sich sogar filmen. Ermutigt von den Forschern hat sich eine Zeitzeugin spät auf die Suche nach ihrem Vater in den USA gemacht, ihn aber nicht gefunden. Dafür ganz überraschend die leibliche Mutter, die offenbar ausgewandert war. Ein anderer Betroffener erzählte, wie bei ihm eines Tages das Telefon klingelte und eine Frauenstimme sagte, der leibliche Vater wolle ihn sprechen. Nach 40 Jahren. Ausgerechnet am 1. April rief er an. Wenn das ein Aprilscherz ist, dann ein sehr schlechter, dachte er sich.

Nun, es war wirklich der Vater, und mit ihm auch gleich alle Geschwister, die er in Amerika hatte. Ob er ihm Hemden schicken solle, wollte der Vater wissen, der noch das karge Nachkriegsland im Kopf hatte. Nicht nötig, meinte der Sohn, es habe sich in Österreich viel verändert.

Ausstellung

Das Forschungsprojekt „Lost in Administration“ widmet sich jenen Kindern, die zwischen 1946 und 1956 in Österreich geboren wurden und eine österreichische Mutter und einen schwarzen US-Soldaten als Vater haben. Philipp Rohrbach und Niko Wahl haben aus ihren Recherchen die Ausstellung „SchwarzÖsterreich“ kuratiert, die am
Dienstag, den 26. April im Österreichischen Museum für Volkskunde eröffnet wird (Laudongasse 15–19, 1080 Wien. 18.30 Uhr. Für das Begleitprogramm siehe: volkskundemuseum.at).

Von den schätzungsweise 20.000 sogenannten Besatzungskindern dürften 350 bis 500 einen schwarzen Vater haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2016)

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