Koalition, was nun? Überleben nach dem Desaster

Vizekanzler Mitterlehner und Kanzler Faymann: Wie geht es weiter?
Vizekanzler Mitterlehner und Kanzler Faymann: Wie geht es weiter?(c) APA (Roland Schlager)
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Faymann und Mitterlehner starten nach dem für SPÖ und ÖVP vernichtenden Hofburg-Wahlsonntag einen „Relaunch“ der rot-schwarzen Zusammenarbeit. Es ist auch ein Versuch, ihre Köpfe zu retten. Die Asylpolitik wird nun zur ersten Nagelprobe.

Für Herumreden war die Abfuhr der Wähler für die Kandidaten von SPÖ und ÖVP bei der Bundespräsidentenwahl am Sonntag, Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol, zu heftig. Bundeskanzler Werner Faymann und seinem Vizekanzler Reinhold Mitterlehner war nach diesem blamablen Ergebnis nicht nur die tiefe Enttäuschung gemeinsam. Die beiden Parteichefs wandten sich am Sonntagabend gegen personelle Konsequenzen. Statt dessen soll – wieder einmal – die Regierungsarbeit verbessert werden. Mitterlehner nannte es einen „Relaunch der Arbeit“. Faymann sprach von einer „klaren Warnung an die Regierung, dass wir stärker zusammenarbeiten müssen“.

Beide Regierungsparteien wollen vor allem eines nicht: Neuwahlen. Sie können sich nach dem Triumph des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer leicht ausrechnen, dass mehr als 30 Prozent für die FPÖ auch bei einer baldigen Nationalratswahl nicht nur in Umfragen möglich sind.
Zwar forderte angesichts des flächendeckenden desaströsen Abschneidens der Hofburgbewerber von SPÖ und ÖVP – mit Ausnahme von Juso-Chefin Julia Herr – vorerst in den Regierungsparteien niemand offen eine Veränderung an der Parteispitze. Faymann sah keinen Anlass für personelle Konsequenzen, Mitterlehner wandte sich gegen jede ÖVP-Obmanndebatte. Vorerst wird den beiden in ihren Parteien eine – letzte – Schonfrist eingeräumt. Mitterlehner gab selbst zu, dass dies jetzt eine „letzte Chance“ für die Koalitionsparteien sei.
SPÖ-Chef steht vor Parteitag

Eine wichtige Wegscheide wird schon heuer im Herbst erreicht, wenn der SPÖ-Vorsitzende sich dem nächsten SPÖ-Bundesparteitag stellen muss. Bis dahin soll jetzt die öffentlich eingeschlafene Diskussion über ein neues SPÖ-Parteiprogramm vorangetrieben werden. Um die Attraktivität der SPÖ über den Kreis der Funktionäre hinaus zu erhöhen, muss Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid im Auftrag Faymanns die oft ankündigte Öffnung und (Neu)Organisation der Partei endlich mit Leben erfüllen. Dem ÖVP-Obmann kommt zugute, dass sich in der jetzigen Nachwahl-Depression kaum jemand zur Übernahme der Parteiführung finden wird.
Arbeit wartet in der Regierung bis zum Sommer genug. Darunter ist die Hürde der Verschärfung des Asylrechts, aber auch weitreichende finanzielle Weichenstellungen haben einen erhöhten Streitpotenzialfaktor.

► Finanzen: Die Verlängerung des Finanzrahmens für die Budgets bis 2020 ist hingegen mit dem dem Beschluss im Ministerrat morgen, Dienstag, nur noch Formsache, die Aufstockung der Mittel für Polizei und Heer ist fix. Bei den Verhandlungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden über die ab 2017 angestrebte Neuaufteilung der Steuereinnahmen (Finanzausgleich), bei denen es in Summe um 95 Milliarden Euro geht, wird es auch ernst. In der Hauptrolle: Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP). Gleichzeitig halten die Folgen des Ansturms von rund 100.000 Asylwerbern bis März dieses die Koalition begleitet von den jetzign massiven Erschütterungen der Bundespräsidentenwahl voll auf Trab. Damit geht bis zur Sommerpause des Nationalrats im Juli Schlag auf Schlag.


► Mindestsicherung. Änderungen und verschärfte bundeseinheitliche Regeln, die ab 2017 zum Tragen kommen sollen, sind schon heute, Montag, Thema bei einer weiteren Verhandlungsrunde von Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) mit den Sozialreferenten der Bundesländer Thema. Das hat Sprengkraft. Die Debatte darüber ist von der Flüchtlingsthematik überschattet, weil die Bundes-ÖVP auf Kürzungen für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte, die keinen Asylstatus haben, aber nicht in ihre Heimat abgeschoben werden können, drängt.

► Asylrecht. Schon heute im parlamentarischen Innenausschuss und morgen, Dienstag, ist im SPÖ-Parlamentsklub Lostag, ob die Verschärfungen des Asylrechts (etwa beim Familiennachzug) wie von den Koalitionsspitzen geplant am Donnerstag dieser Woche im Nationalrat beschlossen werden. Möglicherweise bleiben zumindest manche SPÖ-Abgeordnete der Abstimmung fern.

► Finanzausgleich. Nach mehrmaligen Verlängerungen seit dem Pakt von Bund, Ländern und Gemeinden im Oktober 2007 strebt Finanzminister Schelling heuer auch strukturelle Änderungen bei der Neuaufteilung des 95-Milliarden-Topfes an Steuereinnahmen auf die Gebietskörperschaften an. Wegen der gesetzlichen und bürokratischen Vorlaufzeiten sollte eine neue Vereinbarung möglichst vor dem Sommer unter Dach und Fach sein. Der Minister drängt vor allem auf eine Grundsatzentscheidung, ob die Bundesländer selbst die Höhe mancher Steuern festlegen sollen (eingehoben werden sie ohnehin weiter zentral vom Bund).

► Bildungspaket. Der Gesetzesentwurf über ein Maßnahmenbündel im Schulrecht ist in Begutachtung – von der Benotung bis zur Schulautonomie. Finanzielle Auswirkungen sind offen. Schelling möchte Geld, das bisher zusätzlich in die Neuen Mittelschulen floss und kaum messbare Verbesserungen beim Können/Erfolg der Schüler gebracht hat, zur Finanzierung umschichten. Fraglich ist, ob die zwischen Bund und Ländern heftig umstrittene Reform der Schulverwaltung ebenfalls noch vor dem Sommer in Gesetzesform gegossen werden kann. Daran wird gezweifelt.

► Klausur. Was die Beschäftigung und die Integration von Flüchtlingen betrifft, so wird die Regierung morgen, Dienstag, in einer Klausur mit den Sozialpartnern über die Eingliederung Zehntausender Menschen mit Asylstatus beraten. Dieses Thema hat vor dem Hintergrund einer Rekordarbeitslosigkeit in Österreich mit rund 400.000 Beschäftigten, die arbeitslos gemeldet sind, besondere Brisanz. Befürchtet wird außerdem, dass viele davon etwa wegen fehlender oder mangelnder Deutschkenntnisse keine Arbeit finden werden und damit auf Unterstützung aus dem Sozialsystem – in Form der Mindestsicherung – angewiesen sein werden. Damit schließt sich der Kreis zu den Verhandlungen über die Neuregelung dieser Form des Sozialgeldes, das 2014 an rund 256.000 Personen österreichweit ausbezahlt wurde.

► Pensionen. Bei dem am 29. Februar von SPÖ und ÖVP schnell zusammengeschnürten Mini-Pensionspaket, mit dem die Österreicher zu längerem Verbleib im Arbeitsleben animiert werden sollen, stehen die notwendigen Gesetzesentwürfe von Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) noch aus. Nachverhandlungen sind allerdings schon gewiss, weil sich seit dem Abschluss am 29. Februar bereits einige Ungereimtheiten gezeigt haben. Das sorgt für neues Konfliktpotenzial für Rot und Schwarz. So sind die Regeln und etwaige Kürzungen der Pensionen bei Zuverdienst im Ruhestand für ASVG-Versicherte, Gewerbetreibende und Bauern wie auch für Beamte, die als erledigt galten, in Wahrheit nicht geklärt.

► Personalentscheidung. Unabdingbar ist der Beschluss, wer nach nunmehr zwölf Jahren Josef Moser als Präsident des Rechnungshofes am 1.?Juli 2016 nachfolgt. Spätestens Mitte Juni muss diese Personalfrage im Nationalrat entschieden werden.

► Hypo-U-Ausschuss. Im Parlament geht der Untersuchungsausschuss zur Kärntner Hypo-Alpe-Adria-Bank jetzt ins Finale. Sicher ist, dass der Endbericht über den Sommer hin erstellt wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2016)

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