Zypern-Konflikt. Bevor für die geteilte Mittelmeerinsel keine Lösung gefunden ist, wird die Regierung in Nikosia ernsthafte Verhandlungen mit Ankara weiter boykottieren. Nach wie vor sind die türkischen Häfen für zypriotische Schiffe geschlossen.
Der Zypern-Konflikt ist so alt, dass Freunde und Gegner eines EU-Beitritts der Türkei unwillkürlich gar nicht mehr daran denken. Dennoch ist das größte Handicap für einen Beitritt des europäisch-asiatischen Zwitters am Bosporus die geteilte Insel im östlichen Mittelmeer. Das Kernproblem lässt sich ganz schnell auf den Punkt bringen: Ohne Lösung des Zypern-Problems wird es keinen EU-Beitritt der Türkei geben. Beim jüngsten Abkommen der EU mit Ankara war wieder einmal zu beobachten, dass bei Kernfragen schnell die zypriotische Sackgasse genommen werden muss – die Inselrepublik blockiert nicht weniger als acht der fünfunddreißig Beitrittskapitel, darunter freien Warenverkehr und Zollunion. Und man wollte sich in Nikosia auch durch die Aussicht auf eine mögliche Regelung der Flüchtlingsfrage nicht dreinreden lassen – letztlich wird lediglich ein neues Kapitel geöffnet, das für Zypern nicht interessant ist: Die Türkei darf mit Brüssel über Finanz- und Haushaltsbestimmungen diskutieren. Die Mitte März gefundene Einigung zwischen EU und Türkei stellte übrigens – trotz aller Kritikpunkte – eine Art Meisterprüfung für Griechenlands Ministerpräsidenten Alexis Tsipras dar. Er brachte es fertig, sich mit dem asiatischen Nachbarn zu einigen, ohne die griechischen Zyprioten zu verärgern.
Vieles ist komplizierter geworden
Der letzte Versuch, die nun schon 42 Jahre währende Teilung der Insel und die türkische Besetzung des Nordteils zu beenden, geht auf die Jahre 2003/2004 zurück, als der griechische Teil der EU beitrat. Seither ist vieles noch komplizierter geworden. Die Inselgriechen lehnten damals auf dem Weg einer Volksabstimmung einen Einigungsplan, den nach dem UN-Generalsekretär genannten „Annan-Plan“, ab. Damit wurde das Realität, was sich die EU am wenigsten gewünscht hatte: Der Konflikt wurde nach Europa importiert. Seither müssen die zypriotischen Bedenken im Umgang mit der Türkei immer mitberücksichtigt werden. Doch wie ist die Situation rechtlich? Theoretisch ist ganz Zypern der EU beigetreten, die Mitgliedschaft des Nordens ist lediglich bis zur Lösung der Teilung „ausgesetzt“. Weiters müsste Ankara die Zollunion, die mit den EU-Staaten besteht, auf den – inzwischen nicht mehr ganz so „neuen“ – EU-Staat Zypern ausweiten. Das tut das Land jedoch nicht: Zypriotische Schiffe dürfen nach wie vor keine türkischen Häfen anlaufen – und bevor das nicht möglich ist, werden die Beitrittsverhandlungen boykottiert.
Politische Lösung nötig
Es mag sich angesichts der alten Feindschaft wie eine Utopie anhören – aber all diese scheinbar so komplexen Probleme könnten im Fall einer von der Türkei gestützten Einigung der Inselgriechen und Inseltürken schnell gelöst werden.
Und dann dürfte einigen europäischen Staaten schnell klar werden, was sie von den Regierungen in Nikosia, aber auch in Athen, in Bezug auf die Türkei wirklich trennt: Wenn erst einmal eine politische Lösung gefunden wäre, hätten Zypern und Griechenland, ganz im Gegensatz zu anderen EU-Staaten, keine prinzipiellen Bedenken gegen einen Beitritt der Türkei.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2016)