Genmanipulierte Lebensmittel, weniger Umweltschutz, private Schiedsgerichte - die USA üben in den Verhandlungen um das Handelsabkommen mehr Druck aus als bekannt.
240 Seiten lang sind die Verhandlungsdokumente zur "Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft" (TTIP), die Greenpeace Niederlande Montagvormittag veröffentlicht hat. Dabei handle es sich um 13 Vertragskapitel, die rund die Hälfte des gesamten Abkommens darstellten, sagt Greenpeace. Sie zeigten demnach den Stand vor der am Freitag abgeschlossenen 13. Verhandlungsrunde - und machen die tiefen Kluften, die zwischen den Positionen der EU und der USA herrschen, deutlich.
Besonders brisant sind die Papiere in vier Punkten:
- Das bis jetzt in Europa geltende Vorsorgeprinzip, das Produkte nur erlaubt, wenn sie für Mensch und Umwelt nachweislich unschädlich sind, drohe durch das in den USA angewandte Risikoprinzip ersetzt zu werden, fasst Greenpeace die Dokumente zusammen. Dadurch dürften in Europa auch hoch umstrittene und bisher in vielen Ländern nicht zugelassene gen- und hormonmanipulierte Pflanzen und Lebensmittel (zum Beispiel Genmais) so lange angebaut und konsumiert werden, bis ihre Schädlichkeit nachgewiesen sei.
Europa dagegen verbietet Produkte wie hormonbehandeltes Fleisch oder genmanipulierte Lebensmittel häufig schon vorsorglich bei Hinweisen auf Risiken. In den USA kommt es dagegen oft erst zu Verboten, wenn Menschen zu Schaden gekommen sind. - Unter TTIP werde Umweltschutz erschwert, schreibt Greenpeace weiter. Selbst rückwirkend könne das
umstrittene Handelsabkommen bestehende Standards und Regularien zum Schutz von Umwelt und Verbrauchern kippen. Die TTIP-Texte belegten, dass die US-Seite Mechanismen vorschlage, um etwa auch die Kennzeichnung von Lebensmitteln oder Regeln zu Erneuerbaren Energien als Handelshemmnis einzustufen. Im Kapitel zur regulatorischen Kooperation forderten die USA, dass Regularien, die den Handel hemmen, auch nachträglich zurück genommen werden dürfen. - Außerdem droht Washington damit, Exporterleichterungen für die europäische Autoindustrie zu blockieren, um im Gegenzug zu erreichen, dass die EU mehr US-Agrarprodukte abnimmt. Es gehöre zur Verhandlungstaktik der Amerikaner, die Zugeständnisse möglichst lange herauszuzögern, um Druck auf die Europäer aufzubauen, berichtete die "Süddeutsche Zeitung" am Montag.
- Die Dokumente offenbaren auch, dass sich die USA weiter an den umstrittenen privaten Schiedsgerichten festhalten. Konzerne können dort klagen, wenn sie durch Gesetze ausländischer Regierungen ihr Eigentum bedroht sähen. Die Die Schiedsgerichte sollen zwar transparenter sein als bisher: Verhandlungen sollen live im Internet stattfinden, Vertreter der Zivilgesellschaft sollen an den Verhandlungen teilnehmen dürfen. Die Forderung der Europäer, öffentliche Richter einzusetzen, lehnen die USA aber weiterhin ab.
"Geheimabkommen muss gestoppt werden"
Mit der Veröffentlichung habe Greenpeace den Bürgern einen ungefilterten Einblick in den Verhandlungsstand geben wollen, erklärt die Umweltorganisation: Während die EU ihre Vorschläge veröffentlicht, beharren die USA bisher auf Geheimhaltung ihrer Positionen. TTIP-Gegner üben immer wieder scharfe Kritik an dieser Intransparenz. "Bei den Verhandlungen soll hinter verschlossenen Türen ein mächtiger Rammbock gezimmert werden, der auch den fest verankerten Schutz für Umwelt und Verbraucher wieder aus dem Weg räumen kann. Dieses Geheimabkommen muss gestoppt werden", sagte der Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch am Montag bei der Präsentation der Verhandlungsdokumente bei der Digitalkonferenz "re:publica" in Berlin.
EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström betonte hingegen, dass kein Handelsabkommen europäische Standards im Umwelt-, Ernährungs- oder Verbraucherbereich senken werde. "Mit mir wird es ein Absenken der Standards nicht geben", so die Kommissarin am Montag in einem Blog-Eintrag. Entsprechende "alarmierende Überschriften" seien "ein Sturm im Wasserglas".
Malmström räumte ein, dass die EU und die USA in manchen Punkten bereits sehr weit übereinstimmten, es in anderen aber noch erheblichen Verhandlungsbedarf gebe. "In Bereichen, in denen unsere Positionen zu weit auseinanderliegen, werden wir einfach nicht zustimmen", stellte die Kommissarin klar.
Merkel pocht auf "zügigen Abschluss"
Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) pocht unverändert auf einen raschen Erfolg der Verhandlungen. "Wir halten den zügigen Abschluss eines ehrgeizigen Abkommens für sehr wichtig", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Dies sei "einhellige Meinung" der gesamten Regierung.
Das Handelsabkommen TTIP sei eine große Chance, die Globalisierung zu gestalten. Die Exportnation Deutschland sei wie kaum eine andere Volkswirtschaft auf einen freien Welthandel angewiesen. Jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland hänge davon ab, erläuterte Seibert. Die Echtheit der von Greenpeace im Internet veröffentlichten Dokumente zum Verhandlungsstand zwischen Washington und Brüssel könne er nicht bestätigen. Er kenne diese Papiere nicht, betonte Seibert.
TTIP: Hoffnungen und Ängste
Die EU und die USA verhandeln seit Juni 2013 über eine "Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft" (TTIP). Mit rund 40 Prozent des Welthandels würde damit der bedeutendste Wirtschaftsraum der Welt entstehen. Ziel ist eine stärkere Öffnung der Märkte auf beiden Seiten des Atlantiks.
Durch den Wegfall von Zöllen und anderen Handelshemmnissen erhoffen sich die Befürworter Wachstums- und Beschäftigungsimpulse sowie Preissenkungen für die rund 800 Millionen Verbraucher in ihrem Gebiet.
Umwelt- und Verbraucherschützer, Sozialverbände und Gewerkschaften befürchten eine Angleichung von Standards auf geringerem Niveau und kritisieren zudem mangelnde Transparenz bei den Verhandlungen über das Abkommen. Die TTIP-Gegner machen sich außerdem für eine öffentliche Gerichtsbarkeit, ordentliche Arbeitsrechte für alle und auch für den Erhalt der bisherigen Umweltstandards stark.
Als Blaupause für TTIP gilt das bereits ausgehandelte Abkommen CETA ("Comprehensive Economic and Trade Agreement") Europas mit Kanada.
(APA/AFP/dpa/red.)