Theaterberufe: Mit Maschendraht geflickt

Tapezierer Michael Wimmer
Tapezierer Michael Wimmer(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Ob der Vorhang fällt – oder fehlt: Dafür und für alles andere, was am Theater mit Stoff zu tun hat, ist der Tapezierer zuständig. Teil zwei der Serie "Theaterberufe".

Einmal hat Michael Wimmer Szenenapplaus bekommen: Es war vor Jahren bei einer Aufführung von Shakespeares „Der Sturm“, der Tapezierer befand sich auf der Bühne, um letzte Hand anzulegen, da ging der Vorhang auf: Michael Wimmer stand im Scheinwerferlicht. „Der Inspizient hat immer abgezählt, wie viele Leute beim Umbau auf der Bühne waren und wieder runtergehen – aber dieses Mal hat er sich vertan.“ Also? „Ich habe mich verbeugt und bin abgegangen.“ Die Zuschauer haben applaudiert.

Einem Kollegen ist Ähnliches widerfahren. Dem hageren Tapezierer bot allerdings ein beleibterer Schauspieler Sichtschutz. Heute steht dem Inspizienten eine Wärmebildkamera zur Verfügung. Da kommt so etwas nicht mehr vor, und wenn man einen Tapezierer auf der Bühne sieht, gehört dies zur Inszenierung. Früher, meint Michael Wimmer, war es lustiger.

Michael Wimmers Arbeitstag beginnt früh: Um sieben Uhr steht er auf der Burgtheaterbühne, um alles für die Probe vorzubereiten. Von zehn bis halb drei gehört die Bühne den Schauspielern, dann sind wieder die Bühnenarbeiter an der Reihe und „setzen die Vorstellung“: Sie bereiten das Bühnenbild vor. Michael Wimmer und seine Mitarbeiter kümmern sich um alles, was mit Stoff zu tun hat: Sie reparieren die Risse in Vorhängen, sie passen auf, dass der Schleier – eine Art Kulisse aus Stoff – nicht beschädigt wird. Sie bessern Polstermöbel aus – und sie legen das Bodentuch.


Jedes Stück hat seinen Boden: Sind es Planken oder Bretter, sind die Bühnenarbeiter zuständig. Meistens aber ist es ein Stück Teppich, das auf den Boden genagelt wird. Klingt nicht kompliziert, bedeutet aber Knochen- und Präzisionsarbeit. Präzisionsarbeit, weil Tische und Stühle zum Teil auf der Bühne festgeschraubt werden: Dafür werden Löcher ins Bodentuch gebohrt, die vor jeder Vorstellung dort sein müssen, wo sie hingehören: keinen Zentimeter weiter links oder rechts – und das bei Tüchern, die an die hundert Quadratmeter messen können und manchmal die gesamte Drehbühne überspannen. Womit wir bei der Knochenarbeit wären. So ein riesiges Stück Stoff zu spannen geht in die Gelenke. Und dann all die Nägel! Heute muss Michael Wimmer besonders sorgfältig arbeiten. Es steht „Der Schein trügt“ auf dem Programm: Die Schauspieler sind barfuß auf der Bühne!

Seit über zwanzig Jahren arbeitet Michael Wimmer für das Burgtheater. Gelernt hat er Tapezierer. Doch was in der „freien Wirtschaft“, wie Wimmer sagt, gebraucht wird, unterscheidet sich grundlegend von dem, was er für die Burg-Bühne lernen musste. Die Dimensionen sind andere. Hunderte Meter Stoff werden verarbeitet. Und es gilt, flink und kreativ zu sein: Wenn kurz vor der Vorstellung der Vorhang reißt, und der Stoff zum Kleben zu schwer ist, hilft nur noch die Maschendrahtzange, auch „Schweinsringel-Zange“, weil der Draht, den die Zange produziert, aussieht wie ein Ringelschwänzchen. Viel wichtiger: Der Vorhang hat gehalten.

Michael Wimmers Arbeitsplatz ist vor allem die Bühne. Auch während der Vorstellung: etwa, um sich darum zu kümmern, dass das Zelt in „König Ottokar“ auch wirklich in sich zusammenfällt– selbst wenn das bedeutet, im Notfall grob das Seil zu durchtrennen. Dazwischen treffen sich die Tapezierer in einem Raum im Keller der Burg: Eine Nähmaschine auf Rädern steht dort, ein Kübel mit Klebstoff, ein roher Arbeitstisch mit feinsäuberlich sortierten Schrauben und Nägeln. Vom Plafond schaut ein Dekobarockengel, in einem Regal liegen Bahnen von ungefärbtem Stoff: Molinio heißt er und dient als Werkstoff für die Stellproben, eine Art Testlauf für das Bühnenbild. Dafür werden provisorische Kulissen gezimmert, mit billigen Materialien, darunter dem Moliniostoff. So soll der Ausstatter einen Eindruck gewinnen, wie das Bühnenbild aussehen wird. Ist er zufrieden, wird die endgültige Version in Auftrag gegeben.

Dafür sind Michael Wimmer und sein Team nicht mehr zuständig: Die Möbel, Stoffe, Teppiche werden in den Werkstätten im Arsenal angefertigt. Dabei denken die Kollegen dort nicht immer daran, wie sich ihre Arbeit im Alltag bewähren wird. In Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ etwa reißt ein wütender George den Vorhang herunter. „Nach jeder Vorstellung mussten wir den reparieren, Häkchen für Häkchen wieder annähen!“ Das taten sich die Tapezierer nicht lange an: „Wir haben den Vorhang einfach mit einem Klettband an der Leiste befestigt.“

Hinterm Vorhang

Theaterberufe gibt's nicht nur im Rampenlicht. In unserer Sommer-Serie stellen wir all jene vor, die sonst im Verborgenen werken.

Was noch kommt:
Was noch kommt:
Der Inspizient: Er ist etwa dafür verantwortlich, dass der Dirigent weiß, wann er beginnen darf.

Dass auf der Bühne das richtige Sofa erscheint, verantwortet der Herr des Schnürboden.

Davor muss die Requisite etwa für bühnengerechten Schampus sorgen.

Was schon war:
Die Souffleuse

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Wien

Theaterberufe: Die Herrinnen der Haare

Die Gipsköpfe stammen von den Schauspielern, die Haare von Nonnen oder Verstorbenen. Brigitte Kopriva leitet im Volkstheater die Maske, bewacht und vermehrt den beträchtlichen Perückenschatz.
Bühne

Souffleusen: "Keine Details! Welches Stück?"

Souffleusen im Musiktheater sind nicht nur für den Notfall da, sie geben jeden Texteinsatz, zeigen Regieanweisungen an und müssen sogar dirigieren. Teil eins der Serie »Theaterberufe«.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.