"Die Matura sollte per Computer ausgewertet werden"

Christa Koenne
Christa Koenne(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Bildungsexpertin Christa Koenne hält die Lehrpläne für nicht erfüllbar und das Beurteilungssystem für skurril. Die derzeitige Prüfung dürfte gar nicht Zentralmatura heißen.

Die Presse: Nach der Premiere im Vorjahr: Ist bei der Zentralmatura endlich alles gut?

Christa Koenne: Es ist insofern nicht gut, als man diese Prüfung gar nicht Zentralmatura nennen dürfte. Denn eine komplett zentrale Prüfung findet genau genommen gar nicht statt. Es ist ein Spagat zwischen zentralen Aufgabenstellungen und einer Auswertung, die bei den Lehrern bleibt. Damit ist weiterhin ein großes Stück Verantwortung bei den Lehrern.

Ist die Zentralmatura, wie der BHS-Lehrervertreter Jürgen Rainer sagte, eine sinnlose Angelegenheit?

Nein. Sie war eine Irritation, aber eine gesunde. Das System hat seither viel gelernt. Die Lehrer, die sich in ihrer Eigenverantwortung beschränkt gefühlt haben und gegen das Projekt waren, erzählen heute, dass sie einen Wandel im Lehrer-Schüler-Verhältnis erleben. Der Lehrer wird zum Coach der Schüler, weil alle ein gemeinsames Ziel haben: bei der Matura gut abzuschneiden.

Wie würde für Sie eine ideale Zentralmatura aussehen?

Sinnvoll wäre eine zentrale Prüfung, die den Charme der Schlichtheit hat. Die von einem Computer ausgewertet wird. Eine derartige Prüfung kann freilich nur über Bestanden oder Nicht bestanden entscheiden. Dann kann ich nicht die ganze Notenskala – von eins bis fünf – bespielen. Denn per Notendefinition muss ein Schüler für ein Sehr gut oder Gut zeigen, dass er eigenständig arbeiten und denken kann. Dieses eigenständige Denken muss ein Mensch überprüfen, das kann man nicht der Maschine überlassen.

Wäre es nicht viel besser, statt Maschinen externe Prüfer einzusetzen?

Das kostet viel Geld. Am billigsten ist es, wenn wie jetzt der eigene Lehrer die Beurteilung übernimmt, denn der musste das ja auch bisher machen. Doch damit kommt keine wirkliche Vergleichbarkeit zustande.

Wenn die Zentralmatura nur über das Bestehen entscheidet, wer vergibt dann die restlichen positiven Noten?

Die einzelne Schule. Dann kann auch die Unterschiedlichkeit zwischen einem Gymnasium, einem Realgymnasium oder einem Wirtschaftsgymnasium bzw. einer HTL und einer Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik zum Tragen kommen. Dann ist ein Sehr gut an einer HTL etwas anderes als an einer Bakip. Das wäre sauber.

Dann wären die Maturaleistungen für Arbeitgeber oder Universitäten doch erst wieder nicht vergleichbar . . .

Als Arbeitgeber oder als nachfolgende Bildungsinstitution hat man die Chance, nicht nur auf Noten zu schauen, sondern darauf, von welcher Schulform diese Note kommt. Ich habe als AHS-Direktorin auch gewusst, welche Volksschulen mir Kinder mit lauter Einsern schicken, die diese verdient haben, und welche mir solche schicken, deren Eltern vielleicht besonders Druck machen.

Würde eine solche Matura nicht dazu führen, dass nahezu alle die Matura bestehen?

Sie haben recht: Möglicherweise würden mehr positiv sein. Ich sehe es nicht als eine Schande für das Bildungssystem, wenn es ihm gelingt, Schüler zu einem positiven Abschluss zu bringen. Es ist doch eine Perversion unseres Beurteilungsschemas, dass eine Lehrerin dann mit einer Prüfung zufrieden ist, wenn das Ergebnis der Gauß'schen Glockenkurve (Normalverteilung, Anm.) entspricht. Das erzählt ja etwas sehr Skurriles. Die Lehrerin sagt sich dabei selbst: Ich bin dann eine gute Lehrerin, wenn es mir gelingt, dass ein paar Schüler das nicht können, wofür ich bezahlt werde, es ihnen beizubringen.

Es gab Vorwürfe, dass Lehrer die Zentralmatura bewusst so verbesserten, dass es gute Ergebnisse gibt. Kann das sein?

Ich war nicht dabei, aber ich würde sagen, in der Kultur von Schule ist Schummeln Alltag. Schüler schummeln sogar hilfloser als das System. Die Lehrpläne und -bücher wecken Erwartungen, die man als Lehrer nicht erfüllen kann. Mit manchen Chemie-Lehrbüchern der Oberstufe könnte man ein halbes Studium absolvieren. Das schafft man mit den Kids nicht. Es wird aber überprüft, ob man das Soll erfüllt. Deshalb schummeln Lehrer. Das ist nicht ihre Schuld. Das System müsste aufhören zu schummeln. Es brauchte eine Wahrhaftigkeit – eine Klarheit, was mit den Kindern in der heutigen Zeit realistisch erreichbar ist.

Weshalb sind die Pläne nicht erfüllbar?

Weil Schulbücher und Lehrpläne von Fachexperten allein gemacht werden. Bei der Lehrplanerstellung müssten gebildete Laien eingebunden werden, die als Korrektiv für die Experten dienen und bewerten, was wirklich wichtig ist und im Lehrplan bleiben muss.

Braucht es also niedrigere Lernziele?

Nein. Es sollte aber das, was gelernt wurde, behalten werden. Diese Lernbulimie – lernen, um schnell wieder zu vergessen – ist eine Kultur, die unser System derzeit fördert.

Also doch weniger Lernstoff?

Da muss man klar zwischen Standardisierung und Individualisierung unterscheiden. Die Standards, die alle Kinder erreichen sollen, müssen tatsächlich niedriger angesetzt werden. Zugleich sollte man aber mehr auf Individualisierung setzen und die Stärken umso mehr fördern. Wichtig wäre, dass man darauf schon am Ende der Schulpflicht und nicht erst bei der Reifeprüfung achtet.

Wünschen Sie sich einen Test am Ende der Schulpflicht?

Ja. Es braucht ein Grundbildungszertifikat. Eine Art Ausweis, der zeigt, dass man die Grundbildung erreicht hat. Dazu müsste sich die Gesellschaft aber erst darauf einigen, welche Dinge unabdingbar am Ende der Schulpflicht beherrscht werden müssen. Das Ende der Schulpflicht ist die wichtigste Nahtstelle. In der pflichtigen Zeit haben die Pädagogen die Aufgabe, niemanden zurückzulassen. Nach der Schulpflicht muss jedem jungen Menschen klar sein, dass die Hauptverantwortung bei ihm selbst liegt.

Ist das Jugendlichen zu wenig bewusst?

Ja. Wir infantilisieren die jungen Erwachsenen in der Oberstufe. Fragen wie „Hast du die Hausübung gemacht?“ sind absurd.

ZUR PERSON

Christa Koenne (73) hat technische Chemie studiert und 1972 promoviert. Außerdem hat sie neben der Lehramtsausbildung in Chemie auch jene in Mathematik und Physik an der Uni Wien absolviert. Sie war als AHS-Lehrerin tätig und 18 Jahr lang Direktorin. Seit Jahrzehnten gilt sie als Bildungsexpertin und arbeitet als solche (mitunter auch im Auftrag des Ministeriums) an Projekten wie der neuen Lehrerausbildung sowie an Pisa. Koenne lehrte außerdem auch an mehreren Universitäten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2016)

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