Londons neuer Bürgermeister Sadiq Khan will die Metropole "besser machen" und setzt auf pragmatische Lösungen.
London. Mit dem Slogan „YesWeKhan“ ist er in den Wahlkampf gezogen, nun muss Sadiq Khan zeigen, was er tatsächlich kann. Bei seiner Angelobung als Londoner Bürgermeister versprach der 45-jährige Labour-Politiker am Samstagnachmittag, er wolle die 8,5-Millionen-Einwohner-Metropole „besser machen“. An Herausforderungen fehlt es nicht: Wohnungsnot, Verkehrskollaps und Luftverschmutzung machen vielen Londonern schwer zu schaffen.
Im Mittelpunkt der internationalen Wahrnehmung stand nach der Wahl Khans freilich die schillernde Biografie des neuen Stadtoberhaupts, des ersten Moslems auf diesem Posten. Geboren wurde Khan als eines von acht Kindern pakistanischer Einwanderer und wuchs in einem Gemeindebau im verarmten Südlondoner Stadtteil Tooting auf. Sein Vater war Busfahrer, die Mutter Näherin.
„Der beste Job in der britischen Politik“
„Nur in London“ sei es möglich gewesen, sich aus diesen Verhältnissen hochzuarbeiten, wurde Khan im Wahlkampf nicht müde zu betonen. Bereits als Schüler mit 15 Jahren begann er, sich politisch zu engagieren: „Mein Vater wurde von der Gewerkschaft vertreten und hatte ein anständiges Einkommen und alle Rechte. Mein Mutter war es nicht und hatte weder das eine noch das andere.“ Nach einem Jusstudium profilierte sich Khan als Menschenrechtsanwalt. In seiner ersten Rede vor dem Unterhaus nach Erringen eines Parlamentsmandats für Tooting im Mai 2005 sprach Khan stolz davon, dass ihm sein Vater die Lehre Mohammeds vermittelt habe, und wählte für sich dessen Maxime: „Wenn man irgendwo ein Unrecht erkennt, hat man die Pflicht, es zu bekämpfen.“ Zwei Monate später rissen vier Selbstmordattentäter 52 Menschen im Londoner Morgenverkehr mit sich in den Tod, und das Land hatte auf einmal ein Islam-Problem: Die Attentäter waren in Großbritannien geborene extremistische Moslems.
Mit rund 2,7 Millionen Menschen laut Volkszählung 2011 stellt die islamische Gemeinde heute die zweitgrößte Religionsgruppe Großbritanniens. Die Generation von Khans Eltern setzte auf Anpassung, Religion war Privatsache. Ihre in Großbritannien geborenen Kinder nahmen oft eine selbstbewusstere Haltung ein. Die Lage im Nahen Osten – und die britische Verwicklung – führten manche in die Radikalisierung. Heute weiß man von mindestens 800 britischen Staatsbürgern, die aufseiten der Terrorarmee IS kämpfen.
Dass die Konservativen im Wahlkampf Khan, Vater von zwei Töchtern, in die Nähe islamischer Extremisten rücken wollten, hat ihnen in der weltoffenen Metropole London massiv geschadet. Mit 56,8 Prozent errang Khan eine größere Mehrheit als seine Vorgänger Ken Livingstone und Boris Johnson. Kein britischer Politiker hat heute ein stärkeres Direktmandat. Wenn die Kompetenzen des Londoner Bürgermeisters auf dem Papier auch bescheiden sind, ist es in der Realverfassung der zweitmächtigste Posten des Landes. Vom „besten Job in der britischen Politik“ sprach Khans direkter Vorgänger Johnson bei der Amtsübergabe: London bietet eine riesige Bühne zur Selbstdarstellung, während die Last der Verantwortung überschaubar ist.
Auf Distanz zu Labour-Chef
Sowohl Livingstone als auch Johnson wussten sich in dieser Position meisterlich zu inszenieren, oft auch gegen die eigene Parteiführung und als Stadtväter für alle Londoner. Auch Khan ging in seiner Angelobungsrede auf Distanz zum deklariert linken Labour-Chef Jeremy Corbyn: „Unsere Partei muss eine breite Bewegung sein, die auf alle zugeht“, erklärte Khan. Schon im Wahlkampf hat er sich „Hilfe“ von Corbyn verbeten.
Stattdessen präsentiert sich Khan, von 2008 bis 2010 Staatssekretär, als Pragmatiker. Als solcher hat er einiges anzupacken: Während London im Jahr mindestens 50.000 neue Wohneinheiten brauchte, wurde im Vorjahr nur die Hälfte fertiggestellt. Angesichts unvermindert wachsender Nachfrage steigen die Preise ins Astronomische. Im Vorjahr stieg die Zahl der Londoner, die ihrer Stadt den Rücken kehrten, um zwei Drittel. Experten warnen bereits vor einem Braindrain der Talente. Eine Stadt, die sich nur mehr Oligarchen leisten können, kann nicht das Ziel des Bürgermeisters aus dem Gemeindebau sein.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2016)