Wer gut alt werden will, muss früh damit anfangen

Lebenszyklus. Fünf bis acht Jahre vor der Pensionierung müsse man anfangen, sich über die Zeit danach Gedanken zu machen, sagt Leopold Stieger.

Der alte Vorstand schloss seinen Schreibtisch ab. Die Projekte waren übergeben, die Abschiedsfeier gelaufen. Ein Leben voller Freiheit lag vor ihm. Sein Netzwerk würde schon dafür sorgen, dass ihm nicht langweilig würde.

Der alte Vorstand irrte. Sein Netzwerk vergaß ihn umgehend. „Leider, keine Zeit“, war die Standardantwort, wenn er sich auf einen Kaffee verabreden wollte.

„Kognitiv weiß jeder, dass er mehr tun muss, um sich auf die Pension vorzubereiten“, wundert sich der frühere Personalentwickler und GfP-Gründer Leopold Stieger (77), „trotzdem tut es niemand.“ Stieger machte sich die Sensibilisierung für diesen Abschnitt zur Lebensaufgabe.

„Freitätig“ statt berufstätig

In die übliche Dreiteilung des Lebens (Ausbildung, Berufstätigkeit, Ruhestand) schob er eine vierte Phase ein. „Freitätigkeit“ nennt er sie und setzt sie mit dem Rückzug aus der Erwerbstätigkeit an. Ein Viertel bis ein Drittel des Lebens habe man dann noch vor sich. Nur den letzten, schon deutlich eingeschränkten Jahren gesteht Stieger die Bezeichnung „Ruhestand“ zu.

Um sich profund auf die Freitätigkeit vorzubereiten, bietet Stieger ein richtunggebendes Seminar fünf bis acht Jahre vor der Pensionierung an, weiters Einzel- oder Gruppencoachings im Jahr davor: „Aber die meisten planen lieber eine Weltreise. Danach haben sie nicht mehr genug Motivation für etwas Neues, Herausforderndes.“

Oft scheitere die Vorbereitung auch an divergierenden Interessen. Der Arbeitgeber habe keinen Grund, die Aufmerksamkeit der Älteren auf die Zeit danach zu lenken. Der Vorschlag für eine gecoachte Pensionsvorbereitung müsse vom Mitarbeiter selbst kommen. Dann würde der Arbeitgeber als Dank für die bisherigen Verdienste meist problemlos die Kurskosten übernehmen. (Details unter www.seniors4success.at)

In der Vorbereitung selbst geht es um drei Fragen: Erstens, was habe ich in meiner Ausbildung gelernt? Was kann ich künftig damit machen? Zweitens, welche zusätzlichen verwertbaren Kenntnisse habe ich? Und drittens, welche Träume habe ich bisher noch nicht realisiert?

Ideenmatrix

Daraus wird eine Matrix erstellt. In die Zeilen kommt alles, was man kann (vom beruflichen Können bis zu den Hobbys wie etwa Bienen züchten). In die Spalten kommt jeder (wirklich jeder), der das brauchen kann: der frühere Arbeitgeber, andere Firmen, neue Kundenkreise, Kommune, Kirche u. v. a.

Dann geht man in der Matrix Zeile für Zeile und Spalte für Spalte durch. Kann ein früherer Verkäufer dem Bienenzüchterverband Honigverkaufsschulungen anbieten? Kann er seinem früheren Arbeitgeber Honig anbieten? Oder Exkursionen zu seinen Bienenstöcken?

In den Feldern der Matrix, in denen sich die meisten Ideen finden, lägen die erfolgversprechendsten Betätigungsfelder, sagt Stieger: „Und sie machen stolz auf das, was man alles kann.“

Mit zwei wichtigen Einschränkungen: Erstens genüge es nicht, etwas zu beherrschen, man müsse es auch wirklich gern tun. Zweitens reiche es nicht aus, sich ein Betätigungsfeld „nur für mich“ zu suchen (etwa ein Studium). Es müsse ein „für wen“ geben, einen Teil der Gemeinschaft, dem dies auch nützen würde.

Stieger erzählt von einem Chemiker, der sein Leben lang in der Erdölindustrie tätig war. Sein Jugendtraum war unerreichbar: Eigentlich wollte er Lehrer werden. Heute, nach der Pensionierung, ist er es endlich: Er unterrichtet jetzt an einer technischen Fachhochschule – Chemie.

("undefined", Print-Ausgabe, 07.05.2016)

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