Suchtverhalten: Ein Land wird (wieder) nüchtern

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Annähernd drei Viertel der Bevölkerung trinken nur wenig oder gar keinen Alkohol. Rückgang vor allem bei männlichen Schülern. Cannabis-Trend bei 45- bis 50-Jährigen.

Wien. Das aktuell massive Auftreten von Drogendealern im öffentlichen Raum spricht eigentlich gegen den Befund. Die Ergebnisse zweier (repräsentativer) Umfragen zum Suchtverhalten der Bevölkerung (8000 bzw. 4000 Befragte) sind nach Angaben der Autoren jedoch belastbar: Österreicherinnen und Österreicher konsumieren zusehends weniger legale und illegale Drogen. Wie das funktioniert?

Seit einigen Jahren schon erforscht das Gesundheitsministerium das Thema Sucht mit standardisierten, und damit miteinander vergleichbaren, Studien. Eine betrifft die Gesamtbevölkerung (2015: vierter Durchlauf), die andere die Teilmenge der Schüler (2015: dritter Durchlauf). Die Ergebnisse der Arbeit aus dem Vorjahr wurden nun vorgestellt.

Man mag es angesichts der regelmäßigen Meldungen über Alkoholexzesse kaum glauben, aber zuletzt sah es so aus, als ob fast drei Viertel der Bevölkerung (72 Prozent) entweder abstinent sind (19) oder zumindest nur geringe Mengen unterhalb der von Medizinern angenommenen Harmlosigkeitsgrenze konsumieren. Diese liegt bei Männern bei 20 Gramm Alkohol pro Tag (etwas mehr als ein halber Liter Bier) und bei Frauen bei 16 Gramm (ein Viertel Wein).

Wirkt die Prävention?

Vergleicht man diesen Wert mit den Ergebnissen der vergangenen Umfragen, dann zeigt sich im Verlauf der Jahre (siehe Grafik) ein deutlicher Zuwachs innerhalb jener Gruppe, die keinen oder nur wenig Alkohol trinkt. Gleichzeitig nahm auch der Anteil jener Trinker ab, die über der Harmlosigkeitsgrenze liegen (14), oder gar einen gesundheitsgefährdenden Konsum aufweisen (ebenfalls 14). Die Medizin hat diese Schwelle bei eineinhalb (Männer) bzw. einem Liter Bier pro Tag gesetzt.

Warum ist das so? „Kausalitäten zwischen Suchtverhalten und sozialen Entwicklungen sind wissenschaftlich fast nicht herzustellen“, sagt Martin Busch, Abteilungsleiter im Kompetenzzentrum Sucht, das die Befragungen für das Gesundheitsministerium durchgeführt hat. Ebendort glaubt man, dass vor allem die stark nachgefragte Präventionsarbeit an den Schulen Früchte trägt, also immer weniger mäßige bis unmäßige Trinker ins Erwachsenenalter nachrücken.

Buben trinken immer weniger

Wobei: Stimmt die Annahme, gäbe es vor allem im Verhältnis zu Mädchen noch Aufholbedarf. Aus der Befragung der Schüler weiß man, dass der durchschnittliche Tageskonsum an Alkohol bei Buben seit 2003 immerhin um 33 Prozent gesunken ist, bei Mädchen im selben Zeitraum jedoch gar nicht. Er liegt heute mit zehn Gramm (fast) gleichauf mit dem der Burschen (12).

Wie beim Alkoholkonsum kommen auch bei den Rauchern immer weniger junge Menschen nach. 2003 gaben vier von fünf Schülern an, zumindest einmal eine Zigarette geraucht zu haben. Zuletzt waren es nur noch 54 Prozent. Erstmals erhoben wurde das Glücksspiel. Dabei zeigt sich, dass vor allem unter Erwachsenen die staatliche Lotteriegesellschaft der mit Abstand größte Nutznießer ist. Nur unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen spielen Sportwetten und Rubbellose eine vergleichbare Rolle.

Cannabis im mittleren Alter

Auf dem Sektor der illegalen Drogen scheint sich der Konsum stabilisiert zu haben. Bei Cannabisprodukten zeigten sich bei der Befragung 2004 annähernd die gleichen Werte wie zuletzt. Ein Drittel der Bevölkerung will zumindest einmal im Leben probiert haben, zwei Drittel noch nie.

Interessant ist eine Detailanalyse. Vor allem in Alter zwischen 15 und 35 Jahren scheinen die Befragten vermehrt Cannabisprodukte zu rauchen. (Frage: „Haben Sie innerhalb des vergangenen Monats Cannabis geraucht?“) Die meisten kommen in späteren Jahren wieder davon ab. Bis auf eine kleine Gruppe im Alter zwischen 45 und 50 Jahren (siehe Grafik), die innerhalb dieser Lebensphase offenbar wieder verstärkt konsumiert. Warum? Darauf gibt die Studie keine Antwort.

Ebenfalls abgefragt wurde die Einstellung zur Suchtpolitik. In Sachen Alkohol finden Verkaufseinschränkungen und Preiserhöhungen keine Mehrheit, genausowenig die Legalisierung von Cannabis. 52 Prozent sprechen sich für ein generelles Rauchverbot in der Gastronomie aus. Auch das Aufstellen von Glücksspielautomaten soll demnach restriktiv (erlaubt nur in Casinos) gehandhabt werden. (awe)

Auf einen Blick

Suchtverhalten. Das Gesundheitsministerium erhebt seit einigen Jahren das Suchtverhalten der Bevölkerung. Die repräsentativen Studien lassen mehrjährige Vergleiche zu. Aus der letzten Befragung (2015) ergibt sich, dass vor allem der Alkoholkonsum im Lauf der Jahre spürbar zurückgegangen ist. Fast drei Viertel der Bevölkerung trinken gar nicht oder nur wenig. Die Raucher werden weniger. Bei illegalen Drogen zeigt sich die Situation stabil.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2016)

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